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Keine Macht dem Schachtelsatz

26. August 2015

  • Erstellt von Lena Zimmermann
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Schach|tel|satz, der: langer, kompliziert gebauter Satz mit mehrfach untergeordneten Nebensätzen (Foto: Dieter Schuetz/pixelio.de) Array

Schach|tel|satz, der: langer, kompliziert gebauter Satz mit mehrfach untergeordneten Nebensätzen (Foto: Dieter Schuetz/pixelio.de)

„Wenn du deiner Großmutter nicht erklären kannst, was du tust, dann hast du es vielleicht selbst nicht ganz verstanden.“ Dieser Ausspruch wurde schon einigen Wissenschaftlern in den Mund gelegt. Der berühmteste unter ihnen ist Albert Einstein. Welches Genie hier tatsächlich gesprochen hat, ist zweitrangig. Wichtiger ist die Botschaft: Wenn der Zuhörer ein Thema nicht versteht, dann liegt es in der Regel nicht an seinem mangelnden Intellekt, sondern viel öfter am fehlenden Erklärungsvermögen seines Gegenüber. Es geht um die richtige Wortwahl, um eine einfache Sprache und um den Willen, etwas zu vermitteln. Zum Ärger aller Sprachliebhaber, Zuhörer und Leser lautet stattdessen oftmals die Devise: Verwirre, um zu beeindrucken! Verwende Wörter, die niemand versteht, und bilde Sätze, denen keiner folgen kann. 

Es ist das Ende des Studienjahres 2014/2015. In deutschen Universitätsbibliotheken verleihen in diesen Tagen tausende Studenten und angehende Wissenschaftler ihren Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten den letzten Schliff. Wann wäre es da passender, an einen wunderbaren Science Slam-Beitrag aus dem Frühling dieses Jahres zu erinnern. Dr. Paul Stoop berichtete auf der Bühne des SO36 in Berlin erfrischend humorvoll von der manchmal unerträglichen Wissenschaftsschreibe. 

„Ich weiß schon, was ihr denkt: Jetzt kommt der Pressefuzzi daher und will uns was von Wissenschaft erzählen“, so Stoop beim Betreten der Bühne. Und wie er was von Wissenschaft erzählt – genauer  gesagt von der Sprache in der Wissenschaft. Stoop ist selbsternannter Schreibforscher, im echten Leben aber  Pressefuzzi und Leiter des Informations- und Kommunikationsreferats am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). 

Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?

Tausende Seiten wissenschaftlicher Texte hat er redigiert und daraus einige allgemeine Hinweise zu Struktur, Satzbau und Wortwahl abgeleitet. Was ist zu tun, was ist zu lassen, damit ein Text halbwegs klar wird? „Wir haben früher mal gelernt, dass ein guter Text aus Einleitung, Hauptteil und Schluss besteht“, so Stoop über altbewährte Textstrukturen. Seiner Erfahrung nach weise allerdings allein die Einleitung mancher heutiger Texte bereits eine Gliederungsstruktur vor, die für die gesamte Arbeit gereicht hätte. Das einzige, was in die Einleitung gehört, sei die Frage der Arbeit und die Erklärung, warum deren Beantwortung wichtig ist. Dann leide auch die inhaltliche Tiefe des Hauptteils nicht.

Ein gutes Beispiel verdeutlicht das Satzbau-Problem wissenschaftlicher Texte. Stoop liest den zweiten Satz einer wissenschaftlichen Arbeit vor, die er kürzlich redigiert hat: 

„Während die Befürworter einer starken Verfassungsgerichtsbarkeit hervorheben, dass ohne funktionierende – und sanktionierende – Verfassungsgerichte Grund- und Bürgerrechte heute nicht so stark ausgestaltet wären, wie sie es sind, und diese Rechte ohne Schutz durch Verfassungsgerichte von demokratischen Mehrheiten regelmäßig missachtet würden, verweisen ihre Gegner darauf, dass die Verlagerung von Entscheidungsmacht von direkt gewählten Parlamenten auf bestenfalls indirekt gewählte Richterinnen und Richter demokratisches Regieren schwäche.“ 

Uff! „Hier liegt das Omelett-Problem vor“, erklärt Stoop ernst. „Man hat sehr viele Zutaten, schmeißt alle zusammen in die Pfanne und wenn das Omelett dann fertig ist, kann niemand mehr erkennen, was eigentlich am Anfang die Zutaten waren.“ Er empfiehlt Pfeilsätze: Subjekt, Prädikat, Objekt, maximal ein Nebensatz und vor allem: ein klarer Bezug. Stoop zerlegt den Mammutsatz in fünf Pfeilsätze und siehe da: Der Text ergibt tatsächlich Sinn. Bei Pressetexten liegt die durchschnittliche Wortanzahl pro Satz übrigens zwischen 10 und 23. In der Wissenschaft sind es im Durchschnitt zwischen 25 und 29 Wörter pro Satz. Der vorliegende Beispielsatz umfasst 62 Wörter – das scheint wirklich eine Ausnahme zu sein.

Die Kunst der klaren Worte

Satzlänge hin oder her – was am Ende einen verständlichen (und vielleicht sogar schönen) Satz ausmacht, sind die Wörter, aus denen er besteht. Stoop unterscheidet zwischen Pestwörtern und überflüssigen Wörtern. Für ihn sei das aktuelle Pestwort ‚spannend‘. „Was für die Jugend ‚geil‘ ist, ist für den Verfasser wissenschaftlicher Texte ‚spannend‘.“ Überflüssige, aber oft verwendete Wörter seien zum Beispiel ‚bewusst oder gezielt‘: Normalerweise sollte alles, was in einem wissenschaftlichen Text thematisiert wird, bewusst oder gezielt geschehen. Das dürfe man zumindest hoffen. „Auch für den beliebten Ausdruck ‚etwas stellt dar‘ gibt es ein ganz außergewöhnliches Synonym“, scherzt Stoop. „Es heißt ‚ist‘“. ‚Sowohl als auch‘ könne man ganz gut durch ‚und‘ ersetzen. „Und wenn noch ein Mensch – abgesehen von einem Automechaniker – etwas auf den Prüfstand stellt, dann…“. Alle lachen und denken wahrscheinlich an ihre eigene Diplomarbeit und was sie da so alles auf den Prüfstand gestellt haben.

Die ganze Besserwisserei ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Sie darf trotzdem ein bisschen ernst genommen werden, damit all den Lektoren kurz vor Semesterende nicht die Freude an ihrer Arbeit vergeht. Ein großer Sprachliebhaber unserer Zeit fasst mit seinem Ausspruch die Problematik noch einmal recht treffend zusammen: „Unverständlichkeit ist noch lange kein Beweis für tiefe Gedanken." Marcel Reich-Ranicki


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