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20 Jahre WiD – Mitforschen und mitreden

03. Juni 2020

  • Erstellt von Hannes Schlender
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Eine Frau blickt durch das Okular eines Teleskops. Foto: Karo Krämer/WiD Array

Vögel zählen, Sterne kartieren oder historische Karten analysieren: Die Bürgerwissenschaften sind vielfältig, schaffen neues Wissen und bringen Forschende und Bürger*innen in den direkten Dialog. Foto: Karo Krämer/WiD

WiD feiert Geburtstag. Vor 20 Jahren, am 12. Mai 2000, unterzeichneten Vertreter von acht Organisationen die Urkunde zur Gründung der Wissenschaft im Dialog gGmbH. Zum Jubiläum wollen wir im Gespräch mit Partnern und Wegbegleitern zurück aber auch nach vorne blicken und fragen: Wie haben sich Wissenschaft im Dialog und die Wissenschaftskommunikation weiterentwickelt, welche Themen waren damals wichtig, welche werden heute und in Zukunft im Mittelpunkt stehen. Wen erreicht Wissenschaftskommunikation und vor allem: wen nicht? Im vierten Beitrag beleuchtet Hannes Schlender das Prinzip der Bürgerwissenschaften, ihre Bedeutung für Forschung und Gesellschaft und welche Herausforderungen in der Zukunft noch bereitstehen.

Auf dem richtigen Weg – aber noch nicht am Ziel

Citizen Science ist nichts Neues. Es gibt sie schon seit dem 19. Jahrhundert, wenn nicht sogar noch länger. Ob Pflanzensammler, Vogelkundlerinnen oder Expertinnen für Insekten – ohne Naturliebhaber, die sich in ihrer Freizeit auf oftmals allerhöchstem wissenschaftlichem Niveau mit den Eigenschaften und der Verbreitung biologischer Arten befassen, wäre die Erforschung der Ökosysteme längst nicht so weit, wie sie heute ist. „Unter dem Begriff Citizen Science gewinnt dieses ehrenamtliche Engagement seit einigen Jahren neuen Schwung”, sagt Wiebke Brink, die bei Wissenschaft im Dialog das Projekt Bürger schaffen Wissen leitet. Ein Grund dafür ist die Entwicklung digitaler Technologien. Bürgerinnen und Bürger können per Smartphone kartieren oder am Laptop das Weltall nach neuen Sternen durchforsten - unabhängig von Ort und Zeit.

Um diesen Prozess gestaltend zu begleiten, ist 2016 das Grünbuch „Citizen Science – Strategie 2020 für Deutschland“ entstanden: An einem partizipativen Prozess dazu hatten sich über 700 Personen aus 350 verschiedenen Einrichtungen und Organisationen beteiligt. Es entstand ein erster Überblick über die Citizen Science-Bewegung – und eine Vision für die Zeit von 2016 bis 2020 sowie damit verbundene Handlungsoptionen.

Diese sollen nun in einem ebenfalls partizipativen Weißbuch-Prozess evaluiert und gestärkt werden. „Wir möchten zusammen mit der Community erfassen, wo wir stehen,“ sagt Aletta Bonn, Biologin und Professorin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und an der Universität Jena im Rahmen des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Sie leitet die Weißbuch-Initiative federführend mit einem Lenkungskreis aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft sowie der Bürger Schaffen Wissen AG Weißbuch. „Welches Verständnis von Citizen Science existiert in Deutschland? Welche Potenziale stecken darin? Und was muss getan werden, um diese Form der Bürgerbeteiligung noch wirksamer werden zu lassen? Das sind Fragen, die wir klären wollen“, sagt Bonn.

Was hat Citizen Science erreicht? Was hat sich für Citizen Science getan?

2020 ist erreicht. Zeit also, zu reflektieren, was sich für die Citizen Science getan hat und wo der Weißbuch Prozess hinführen soll. Aletta Bonn schaut sich die sechs Ziele der Vision 2020 an. Gleich der erste Punkt fordert, dass Citizen Science im Jahr 2020 „ein integraler Bestandteil gesellschaftlicher und wissenschaftsbasierter Debatten und ein gewinnbringender Ansatz für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“ sein soll. Biodiversitätsforscherin Bonn sieht die Citizen Science-Bewegung auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel angekommen.

„Es gibt viele Projekte der Bürgerwissenschaften, die gesellschaftlich betrachtet schon eine Menge bewegt haben“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Krefelder Studie zum Insektensterben ist dafür ein Beispiel. In der ökologischen Forschung ist seit langem bekannt, dass es ein dramatisches Artensterben gibt. „Dank der Krefelder Studie und weiteren Erhebungen, die von ehrenamtlichen Artenkennern mit großem Sachverstand, viel Engagement und Sorgfalt erstellt werden, haben erstmals größere Kreise in Öffentlichkeit und Politik das ebenfalls wahrgenommen – die meisten Rote Listen beruhen auch auf ehrenamtlichem Einsatz. Citizen Science hat also Transformationspotenzial für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik“, so Aletta Bonn.

Triebfeder für gesellschaftliche Wandlungsprozesse

Citizen Science kann also eine Triebfeder für gesellschaftliche Wandlungsprozesse sein – zum Beispiel auf dem Weg zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Dafür müssen die Projekte der Bürgerforschung aber bestimmte Kriterien erfüllen. Mit diesen Kriterien kennt sich Silke Voigt-Heucke aus. Die Biologin ist am Museum für Naturkunde Berlin für das Citizen Science-Kompetenzzentrum verantwortlich. Zuvor hat sie selbst ein Citizen Science-Projekt geleitet: Den „Forschungsfall Nachtigall“, der bundesweit und über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erfahren hat.

Menschen waren im Forschungsfall Nachtigall aufgefordert, den frühsommerlichen Gesang des Zugvogels mit ihrem Smartphone aufzunehmen und die Aufnahmen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Museum für Naturkunde Berlin zur Verfügung zu stellen. Letztere untersuchen derzeit anhand der Mitschnitte die regionalen Gesangsdialekte der kleinen Meistersänger. Das Vorhaben erfreute sich 2019 großer Beliebtheit. Über 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit tatsächlichen Nachtigall-Aufnahmen registrierte die Forschungsgruppe in der Saison. „Der melodische Gesang der Nachtigall rührt bei vielen Menschen Emotionen an“, erklärt Silke Voigt-Heucke den Erfolg: „Außerdem braucht die Nachtigall einen Lebensraum, der zunehmend bedroht ist – Hecken und Sträucher in einer Umgebung, die nicht zu Tode gepflegt oder zugebaut wird.“ Gerade in Großstädten wie Berlin mit ihrer zunehmenden Verdichtung könne das aber schnell passieren. Die Menschen erkennen den Zusammenhang, wollen etwas für die romantisch klingenden Sänger tun – und sind deshalb bereit, sich in ein Projekt wie den „Forschungsfall Nachtigall“ einzubringen.

Professionelle Ansprüche an die Datenqualität

Hier ist also ein zweifach positiver Effekt festzustellen: Bürgerinnen und Bürger engagieren sich für Wissenschaft, nehmen deren Fragestellungen wahr und setzen sich damit mehr oder weniger vertieft auseinander. Und sie liefern den Forschenden Daten. Das ist der Punkt, an dem manche Forschenden Kritik an Citizen Science üben: Die Datenqualität. Bürgerforscherinnen und -forscher sind keine wissenschaftlichen Profis. Können sie die Datenqualität sicherstellen, die professionellen Ansprüchen genügt?

Diese Frage erforscht Dr. Friederike Klan, Informatikerin und Leiterin der Abteilung Bürgerwissenschaften am Institut für Datenwissenschaften des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt: „Grundsätzlich haben Bürgerinnen und Bürger, die sich in Citizen Science-Projekten engagieren, ein sehr hohes Interesse daran, Daten mit hoher Qualität zu erheben. Schließlich arbeiten sie ehrenamtlich und geben ihre wertvolle Freizeit her – das macht ja niemand auf die Gefahr hin, dass die Ergebnisse am Ende nicht zu gebrauchen sind.“

Bürgerinnen und Bürger frühzeitig einbinden

Wichtig, so Klan, sei vor allem die richtige Konzeption der Datenaufnahme: „Wenn Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler ein Citizen Science-Projekt starten, tun sie gut daran, frühzeitig die Bürgerinnen und Bürger einzubinden. Dann können Anforderungen an die Datenqualität diskutiert oder Hürden bei der Datenerhebung frühzeitig erkannt werden.“

Als Beispiel nennt Klan das Projekt „Nachtlicht-BÜHNE“. Kern des Vorhabens ist die Entwicklung zweier Apps für Mobiltelefone, mit denen nächtliche Lichtverschmutzung erfasst und Sichtungen von Meteoren gemeldet werden können. „Bürgerinnen und Bürger sind selten in der Lage, nach einer Meteorbeobachtung die Bewegung des Objekts am Nachthimmel präzise anzugeben. Dies ist aber wichtig, damit Wissenschaftler später die Flugbahn der Meteore genau bestimmen können“, so Klan: „Wir haben mit den Citizen Scientists mögliche Lösungsansätze für dieses Problem diskutiert.“ So könnte beispielsweise der Handy-Kompass für die Erfassung der Blickrichtung genutzt oder durch Einblenden eines künstlichen Horizonts die Bewegungsrichtung des beobachteten Objekts einfacher aufgenommen werden. Auffällige Landmarken helfen bei der notwendigen räumlichen Orientierung für die präzise Erfassung der beobachteten Bewegung von Meteoren – und damit, die gemeldeten Beobachtungen wissenschaftlich nutzbar zu machen. „Diese Überlegungen fließen jetzt in die Entwicklung der Apps ein, damit sie für Laien sicher benutzbar werden“, so Klan.

Mit der Datenerhebung ist der Prozess der Qualitätssicherung natürlich nicht vorbei. Die Informationen müssen zumeist von den Forschungs-Profis gesichtet und kuratiert werden. Außerdem sind die Metadaten wichtig, also die „Daten über die Daten“. Friederike Klan: „Wenn aus den Metadaten ersichtlich wird, auf welche Weise die Daten im Citizen Science-Projekt erhoben wurden, kann später jeder Wissenschaftler für sich entscheiden, ob er sie in seine Forschung einfließen lassen will und dies bei der Auswertung entsprechend berücksichtigen.“

Damit ist ein weiterer Aspekt aus der Vision 2020 für Citizen Science angesprochen: In diesem Jahr sollte die Bürgerwissenschaft ein „in der Wissenschaft anerkannter, etablierter und praktizierter Forschungsansatz“ sein. Professorin Aletta Bonn ist optimistisch: „Es gibt immer mehr Disziplinen – von Medizin, Technologie Entwicklung und Sensorik bis hin zur Archäologie und Urbaner Transformationsforschung, die das Potenzial von Citizen Science aufnehmen, und spannende Citizen Science Forschung durchführen.“ sagt sie: „Aber wir sind noch nicht am Ziel – das Weißbuch Citizen Science Strategie soll hier ein Richtungsweiser werden.“

Citizen Science-Projekte erfordern viel Engagement – auch von den Forschungsprofis

Die Gründe für den bisher immer noch eingeschränkten Einsatz der Bürgerwissenschaften sind vielfältig. Manche Forschungsarbeiten benötigen einfach zu großen technischen Aufwand, oder sie sind zu komplex, als dass Bürgerinnen und Bürger mitwirken könnten. Und letztlich müssen hinter oder neben den Bürgerforschungsprojekten auch immer professionell forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen. „Ein Citizen Science-Projekt aufzusetzen, erfordert von ihnen großen Einsatz“, sagt Wiebke Brink von WiD: „Der Aufwand für die gemeinsame Konzeption mit den Bürgerinnen und Bürgern ist größer, als wenn man nur mit Fachkollegen zusammenarbeitet. Zur Motivationsunterstützung der Citizen Scientists muss man regelmäßig mit diesen kommunizieren. Und die Auswertung der Daten muss im Zweifelsfall schneller als bei anderen Projekten erfolgen. Die Ehrenamtlichen wollen schließlich wissen, was bei ihrer Forschung herausgekommen ist.“

Mehr Dialog als bei Citizen Science geht eigentlich gar nicht

Damit Citizen Science in der Breite verankert werden kann und noch mehr Freunde findet, sehen sich sowohl das Museum für Naturkunde in Berlin als auch WiD in der Rolle der „Capacity Builder“. Das Museum ist eine wichtige Anlaufstelle für Forschende, die Unterstützung bei der Planung von Citizen Science-Projekten suchen. WiD berät in erster Linie im Bereich der Kommunikation, wie Wiebke Brink erläutert: „Wie muss ich das Projekt darstellen, damit es verständlich wird und Unterstützer findet? Wie nutze ich Social Media oder das Konzept des Story Tellings für die Ansprache der Citizen Scientists? Das sind Fragen, die sich Forschende stellen und bei denen wir Hilfe bei der Suche nach Antworten bieten.“

Entsprechend seinem Namen will Wissenschaft im Dialog aber auch herausfinden, ob die Bürgerwissenschaft den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft tatsächlich stärkt. Dafür soll die Forschung zu Citizen Science gestärkt werden – Science on Citizen Science also. WiD entwickelt beispielsweise Evaluationstools, um eine solide Datengrundlage zu gewinnen. Wiebke Brink ist optimistisch, was die zukünftigen Ergebnisse angeht: „Bei Citizen Science begegnen sich Bürger und Wissenschaftler auf Augenhöhe. Beide Seiten haben ein ernsthaftes Interesse am Austausch. Mehr Dialog geht eigentlich gar nicht.“


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