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20 Jahre WiD – Wissenschaft für alle

28. Mai 2020

  • Erstellt von Sina Metz
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Teil des Projekts "Wissenschaft für alle“ war eine Forschungsrallye für Eltern und Kinder in Berlin-Spandau. Die Bewohner*innen des Bezirks konnten an verschiedenen Stationen experimentieren und Forschungsaufgaben und Rätsel lösen. Foto: Anna Seip/WiD

 

WiD feiert Geburtstag. Vor 20 Jahren, am 12. Mai 2000, unterzeichneten Vertreter von acht Organisationen die Urkunde zur Gründung der Wissenschaft im Dialog gGmbH. Zum Jubiläum wollen wir im Gespräch mit Partnern und Wegbegleitern zurück aber auch nach vorne blicken und fragen: Wie haben sich Wissenschaft im Dialog und die Wissenschaftskommunikation weiterentwickelt, welche Themen waren damals wichtig, welche werden heute und in Zukunft im Mittelpunkt stehen. Wen erreicht Wissenschaftskommunikation und vor allem: wen nicht? Im dritten Beitrag geht Sina Metz der Frage nach, wie Wissenschaftskommunikation möglichst viele Bevölkerungsgruppen erreichen kann und stellt das Projekt Wissenschaft für alle vor.

Perspektiven für mehr Inklusion und Diversität in der Wissenschaftskommunikation

Der Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ist in der heutigen Gesellschaft wichtiger denn je, sei es für individuelle Bildungs- und Karrierechancen oder als Grundlage für die Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Diskursen. Auch aktuelle Herausforderungen wie der Klimawandel, die Energiewende und die Corona-Krise zeigen, wie wichtig gute Wissenschaftskommunikation ist. „Wissenschaftliche Erkenntnisse beeinflussen den Alltag aller Bürger*innen”, sagt Jona Adler, Leiterin des Projekts „Wissenschaft für alle“ bei Wissenschaft im Dialog. Darin untersucht sie gemeinsam mit Forschenden vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), welche Gruppen bisher von der Wissenschaftskommunikation ausgeschlossen sind und wie es gelingen kann, sie mit einzubeziehen.  „Wir wollen den Wert von Wissenschaft als Teil einer demokratischen Gesellschaft stärken. Deshalb ist es uns wichtig, möglichst viele Bevölkerungsgruppen zu erreichen und in die kontroversen Diskussionen über Forschungsthemen einzubeziehen. So tragen wir dazu bei, dass sie wissenschaftliche Fakten besser einordnen und informierte Entscheidungen treffen können, die nicht auf alternativen Fakten beruhen“, sagt Adler. Wen erreicht die Wissenschaftskommunikation also und vor allem: wen nicht?

 „Wir beobachten, dass zu den typischen Wissenschaftskommunikations-Veranstaltungen überwiegend Leute aus bestimmten Gruppen kommen. Meistens sind das ältere Menschen, häufig Männer, viele mit akademischem Hintergrund, oft auch ökonomisch besser gestellte Personen. Aber ganz viele andere Bevölkerungsgruppen sind außen vor“, sagt Christian Humm vom KIT, der ebenfalls im Projekt „Wissenschaft für alle“ forscht.

Deswegen werden viele Gruppen nicht erreicht

„In der Literatur zu politischer Kommunikation oder Erwachsenenbildung, also in Bereichen mit ähnlichen Herausforderungen, findet man viele Beispiele von Gruppen, die nicht erreicht werden. Deswegen sind wir, als das Projekt gestartet ist, von fest definierten Gruppen ausgegangen. Wir haben aber schnell gemerkt, dass solche Gruppenbezeichnungen eine falsche Homogenität suggerieren“, sagt Humm. „Warum sollte beispielsweise eine Professorin mit Migrationshintergrund durch Wissenschaftskommunikation schwer zu erreichen sein? Menschen mit Migrationshintergrund ist also eine falsche Vereinheitlichung.“ Stattdessen identifizierten die Forschenden in einer Literaturrecherche verschiedene Exklusionsfaktoren. Dazu zählen sie neben individuellen Faktoren wie Bildungsbiografie, Alter und Geschlecht auch soziale Faktoren und strukturelle Bedingungen: Das soziale Milieu oder Nationalität und Ethnizität können genauso zu einer Exklusion in Bezug auf Wissenschaft(skommunikation) führen wie beispielsweise die Vermittlungsweise oder die Erreichbarkeit des Veranstaltungsortes. Auch Sprache kann Menschen von Wissenschaftskommunikation ausschließen, wenn das Angebot keine passenden Übersetzungen oder leichte Sprache enthält. Durch die Kombination dieser Faktoren und auch deren eventuelle gegenseitige Verstärkung (Intersektionalität) lassen sich einzelne Gruppen und ihre jeweiligen Bedarfe und Herausforderungen besser beschreiben und dann passgenaue Angebote der Wissenschaftskommunikation entwickeln. 

Maßgeschneiderte Formate

Im Projekt entstanden innovative Formate für drei so ermittelte Zielgruppen: Berufsschüler*innen, muslimische Jugendliche mit Migrationshintergrund und sozioökonomisch benachteiligte Menschen aus einem marginalisierten Stadtteil. 

“Im Projekt haben wir drei Gruppen definiert, die exemplarisch für einen oder mehrere Exklusionsfaktoren stehen“, erklärt Humm. Muslimische Jugendliche können beispielsweise durch ihre Religion und damit einhergehenden Diskriminierungserfahrungen von Wissenschaftskommunikation ausgeschlossen sein. Für Menschen, die in Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit, niedrigem Einkommen und ohne Forschungseinrichtungen und Universitäten leben, gibt es häufig keine Infrastruktur für Angebote der Wissenschaftskommunikation. Berufsschüler*innen werden bei klassischen Formaten häufig aufgrund ihres Alters oder ihrer formalen Bildung nicht als Zielgruppe berücksichtigt. So sind sie für viele Angebote wie Schülerlabore und Kinderuniversitäten bereits zu alt, zudem sind „gerade Universitäten darauf aus, ihren Nachwuchs für die nächste Generation zu rekrutieren und richten ihr Angebot an Abiturient*innen“, meint Humm. 

Kenne deine Zielgruppe

Damit die Formate die ausgewählten Zielgruppen besser erreichen, wurden sie zusammen mit diesen entwickelt und erprobt. „Wir haben beispielsweise mit einer Berufsschule kooperiert und die Schüler*innen gefragt, wo die Probleme liegen und warum sie sich nicht für Aktivitäten der Wissenschaftskommunikation interessieren“, sagt Humm. Daraufhin entwickelten sie gemeinsam ein Science-Pubquiz zu Wissenschaft und Handwerk. Aber obwohl die Berufsschüler*innen die Veranstaltung mitkonzipieren durften, waren letztendlich nur sechs Personen von insgesamt 80 Teilnehmenden aus dieser Gruppe. „Einer der Gründe war wohl, dass wir das Pubquiz in einer externen Location statt in der Schule veranstaltet haben und die Bereitschaft dort abends noch hinzukommen, sehr gering war“, erklärt Humm die verhaltene Teilnahme und macht damit deutlich, wie wichtig es ist, die Rahmenbedingungen, Wünsche und Anforderungen der Zielgruppe genau zu kennen. 

In Berlin-Neukölln traten Slammer*innen aus Poetry und Science gegeneinander an. Sie erzählten von Diskriminierungserfahrungen im Bildungssystem oder berichteten über Medizin, Technik und Mathe. Foto: Franziska Schultheis/WiD

Auch der Zeitpunkt einer Veranstaltung kann Menschen ausschließen. Ein Science & Poetry Slam für die Zielgruppe der jungen Muslime startete um 19.00 Uhr. Eine Stunde später und erst bei der Hälfte des Programms angekommen, mussten bereits viele junge Teilnehmende das Event verlassen. Denn wider Erwarten hatten neben der eigentlichen jugendlichen Zielgruppe etliche Kinder Interesse an dem Format gefunden. Auch das haben die Projektverantwortlichen gelernt: Um solche Situationen zu vermeiden, ist es wichtig, die eigenen Formate kontinuierlich zu evaluieren und reflektieren. Dafür muss man die Exklusionsfaktoren genau kennen und sie berücksichtigen. 

Vertrauen braucht langfristiges Engagement

Dennoch sei das Feedback zu den Pilotprojekten grundsätzlich positiv gewesen. Interessieren sich Menschen, die an den Formaten teilnahmen, anschließend also mehr für Wissenschaft? Für Humm zeigt die Evaluation der Projekte, dass sich „bei einer einmaligen Veranstaltung schlecht Veränderungen erzielen und somit auch messen lassen.“ Philipp Schrögel, der gemeinsam mit Christian Humm am KIT an Diversität und Inklusion in der Wissenschaftskommunikation forscht, ergänzt: „Das wäre auch eine etwas naive Erwartung, einmal ein Event zu machen und schon finden die Leute Wissenschaft toll oder interessant. Das war uns aber vorher schon klar. Alle bisherigen Studien oder Projekte bestätigen das. Und die Leute haben ja selber angegeben, dass sie sich eine Fortführung wünschen. Dabei geht es um längerfristiges Engagement. Das kennt man aus der sozialen Arbeit unter Community (Trust) Building. Wenn eine Institution oder Veranstaltung bekannt ist, dann kommt man auch ein zweites oder drittes Mal wieder und erst dann können sich Effekte aufbauen.“ Der Wunsch aller drei Zielgruppen sei da, die Formate fortzusetzen. Wie geht es also mit dem Projekt weiter?

Diese Checkliste und Praxistipps helfen weiter

„Für uns war von Anfang an klar, dass die Pilotveranstaltungen Testballons waren“, sagt Schrögel. Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Projekt bereiten er und seine Kolleg*innen aktuell so auf, dass alle Wissenschaftskommunizierende sie nutzen können – sei es als Infografiken oder wissenschaftliche Publikationen. Es wurde ein erster Entwurf einer Diversity-Score-Card skizziert, einer Art Checkliste und Analysetool. Diese soll in Zukunft so weiterentwickelt werden, dass Menschen, die in der Wissenschaftskommunikation tätig sind, ihr Angebot auf Diversität überprüfen und dahingehend verbessern können. „Ich hoffe, dass wir anderen Kommunizierenden mit den Erkenntnissen aus unserem Projekt und insbesondere mit der entwickelten Typologie von Exklusionsfaktoren Ansätze bieten können, die ihnen die Entwicklung von Formaten für bisher nicht erreichte Zielgruppen erleichtern – oder die sie zumindest dazu anregen, ihre bisherigen Aktivitäten zu reflektieren und zu überlegen, wie sie langfristig inklusivere Angebote schaffen können. Denn oftmals lassen sich bereits mit wenig Aufwand schon kleine Veränderungen bewirken“, sagt Adler.

Deshalb sollen auch Tipps für eine inklusivere Wissenschaftskommunikation veröffentlicht werden. In der Soziologie beschreibt Inklusion das Konzept, dass alle Menschen einer Gesellschaft einbezogen werden, gleichberechtigt an ihr teilhaben und sie mitgestalten können. Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert deshalb, dass „daher alle Barrieren, die diesem Ziel (noch) im Wege stehen, Schritt für Schritt abgebaut werden. Das gilt für bauliche Barrieren genauso wie für Barrieren in den Köpfen.“ Zu den Praxistipps, wie es gelingen kann, solche Barrieren in der Wissenschaft(skommunikation) abzubauen, zählt Schrögel beispielsweise: „‘Nutzt auf Twitter Alternativtexte bei Bildern für Menschen, die einen Screenreader benutzen!‘ oder ‘Achtet auf Barrierefreiheit bei Veranstaltungen!‘“

Inklusion als Teil des Kommunikationsverständnisses

Das Interesse der Wisskomm-Community an Inklusion und Diversität sei noch verhalten, in den Augen von Humm scheint es aber zu wachsen: „Das Thema ist mittlerweile auf Konferenzen in Deutschland stärker präsent. In meiner Wahrnehmung steigt auch der (Rechtfertigungs-)Druck für Wissenschaftskommunizierende, ihre Angebote inklusiver und diverser zu machen.“ Der angelsächsische Raum sei uns jedoch deutlich voraus, was die Forschung und Diskussionen zu diesem Thema angeht. Zwar gebe es schon kleinere Initiativen für eine inklusive Wissenschaftskommunikation, beispielsweise eine Förderinitiative der Robert Bosch Stiftung für Kommunikationsformate in Zeiten von Corona, die Menschen mit wenig Berührungspunkten mit der Wissenschaft ansprechen. Dennoch fehle es hierzulande noch an systematischen Strukturen und Förderungen. „Es wäre ja schon viel getan, wenn das strukturell bei allen etablierten Formaten mitgedacht würde, also bei bestehenden Förderungen und Kommunikationsstrategien. Wenn wir sagen, jeder trägt einen Teil dazu bei, inklusiver und diverser zu kommunizieren“, sagt Schrögel. Wenn Inklusion also Teil des Kommunikationsverständnisses wird und ein Bewusstsein dafür geschaffen wird. „Die größte Kritik daran ist ‘Jetzt müssen wir das auch noch mitdenken, jetzt haben wir doch schon an die Gleichberechtigung von Frauen gedacht, reicht das nicht langsam?!‘“ „Selbstverständlich nicht!“ so Schrögel, laut dem intersektional gedachte Inklusion eine Selbstverständlichkeit werden sollte - auch in der Wissenschaftskommunikation.

„Wissenschaft für alle“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Karlsruher Institut für Technologie und Wissenschaft im Dialog, gefördert von der Robert Bosch Stiftung. 

Christian Humm und Philipp Schrögel haben zu Exklusionsfaktoren und Tipps für die Ansprache bisher nicht erreichter Zielgruppen bereits Gastbeiträgen beim Online-Portal Wissenschaftskommunikation.de geschrieben.

 


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