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Berührungsängste abbauen

09. November 2018

  • Erstellt von Luiza Bengtsson
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Wer hat schon Angst vor Kuschelbakterien…? Foto: Luiza Bengtsson

„Die Debatte“ ist ein interessantes Format. Vom Ansatz her klingt es irgendwie altmodisch – Wissenschaftler diskutieren auf dem Podium über interessante Themen. Dann aber darf das Publikum keine direkten Fragen stellen - kein Handheben, kein spontanes Zurufen im Saal. Die Fragen dürfen nur schriftlich gestellt werden, sei es auf Karten oder über Social Media. Begleitforschung sagt, dass dem Publikum diese neumodische Methodik etwas unheimlich ist: Die Menschen wollen sprechen. Trotzdem oder vielleicht deswegen funktioniert das Format. Laut der Podiumsteilnehmenden in der gestrigen Session „Die Debatte“ in der Debatte ist das Publikum ungewöhnlich jung für das Format und zahlreich und die Fragen sind viele. Kann man daraus schlussfolgern, dass ein non-verbaler Dialog in face-to-face Events Berührungsängste abbaut?

Auf dem Wellcome Genome Campus in Cambridge schafft man Begegnungsstätten für Forschende und die sogenannte „Gesellschaft“. Es sind Orte am Campus, die die Gesellschaft anziehen und an denen die Forschenden bequem, während der Arbeitszeit, public engagement leisten können. Faszinierend fand ich das mit einem Film präsentierte Open Lab: Dunkelheit, fluoreszierende Farben, High-Tech Stimmung, erwartungsvolle Menschenmasse vor einer schwarzen Wand. Dann – aaaah – die schwarze Wand fährt zur Seite und es erscheint eine wundervolle, helle Laborlandschaft mit glücklich pipettierenden Wissenschaftlern. Die Menschenmasse strömt lächelnd und glücklich schnatternd rein und fängt selbst an mit Inbrunst zu pipettieren… Zugegeben, den Film fand ich reichlich skurril, aber die Idee den Besuch in einem im Prinzip schnöden Schülerlabor durch diese Inszenierung aufzuwerten fand ich sehr interessant. Auch so können Berührungsängste abgebaut werden.

Was tut man, wenn man ein Preis verliehen bekommt, mit dem man nichts zu tun haben möchte? Ich rede von dem „Herz aus Stein“, dass an Gary Lewin vom meinem Heimatinstitut, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), von den „Ärzten gegen Tierversuche“ übergeben werden sollte. Der Preis ging an den Forscher hinter dem grausamsten Tierversuch laut online Umfrage. Die Wertung war natürlich weder objektiv noch wissenschaftlich fundiert, trotzdem musste sich das Institut dem ganzen irgendwie stellen. Verschiedene Alternativen wurden überlegt – ignorieren, rechtlich vorgehen, konfrontieren… Das einzig richtige wurde gewählt – konfrontieren. In der Session „Kein Herz aus Stein“ erzählte Annette Hammes-Lewin, Ehefrau der „ausgezeichneten“ Wissenschaftlers, und selbst betroffene Wissenschaftlerin im Lewin-Labor, von der Achterbahn der Gefühle an dem Tag, als hunderte von MDC-lern sich den Tierversuchsgegnern stellten und in einer Stimme sagten „Lassen Sie uns reden“. Zuerst war sie sich nicht sicher, ob sie die ungewollten Besucher konfrontieren wollte. Aber dann: „Die Berührungsängste haben sich aufgelöst, als ich gesehen habe, wie viele gekommen sind um uns zu unterstützen.“ Ihr persönliches Fazit: „Wir sollen lernen unsere Wissenschaft zu verteidigen, nicht nur aus der Defensive heraus“. Meins – wenn wir mit einer starken, gemeinsamen Stimme sprechen, brauchen wir keine Berührungsängste zu haben, auch mit kontroversen Themen.

Die Europäer haben generell recht hohes Interesse und Vertrauen an Wissenschaft – das zeigen alle Umfragen. Drei davon haben wir in der Session: How Much Engagement With Science and Research Does the Public Want? vorgestellt – das Wissenschaftsbarometer aus Deutschland und dessen Pendant in Schweden sowie die Umfrage vom EU-Projekt ORION zur Förderung der Open Science. Generell fanden die meisten der Befragten, dass es wichtig ist, Bürgerinnen und Bürger in die Forschung einzubinden. Allerdings, wenn gefragt ob sie persönlich bereit wären in der Forschung eingebunden zu werden, sanken die Prozente… Ein Zuhörer hat uns auf ein Paradox hingewiesen: Obwohl je nach Umfrage und Land ca. 40-70% der Befragten nicht in der Forschung involviert werden möchten, nehmen sie bereitwillig an der Umfrage teil, welche ja Forschung ist… Partizipations-Berührungsängste – diese abbauen indem man Forschung einfach anders nennt…?


1 Kommentare

  1. Andreas Beer am 14.11.2018

    Guten Tag,

    da ich in der Diskussion auf das oben erwähnte Paradox hingewiesen hatte, möchte ich hier lediglich kurz erwähnen, dass die handlungspraktische Überlegung („Forschung einfach anders nennen“) Ihre ist, nicht die meine.

    Ich hatte ad hoc spekuliert, dass diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Befragten geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung (z.B. in Form von Umfragen) gar nicht als Forschung bzw. Wissenschaft wahrnehmen.

    Es überwiegt, so meine Überlegung, vielleicht die Vorstellung, dass Forschung lediglich in den Natur-, Human- und Ingenieurswissenschaften („hard sciences“) stattfindet.

    In diesem konkreten Falle ist das positiv: Befragte machen bei Forschung mit, obgleich sie eigentlich nicht dabei sein wollen. Ob diese Einstellung jedoch nicht eher kontraproduktiv für eine realistische Abbildung wissenschaftlichen Arbeitens ist, wäre noch einmal gesondert zu fragen. Und wenn dem so wäre, ob eine gezielte Sichtbarmachung von Geistes- und Sozialwissenschaftlichen als Wissenschaft (und nicht als Diskussions- oder Debattenbeitrag, als einzelne Expert/innenmeinung o.ä.) nicht zu forcieren wäre.

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