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Das geht so nicht!

12. Dezember 2019

  • Erstellt von Annie Voigt und Marie Niederleithinger
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Ein toller Ort zum Bloggen für Annie und Marie. Foto: Annie Voigt/Marie Niederleithinger

Wir haben uns gestern kurzerhand entschieden, den Abend in der ältesten Boulderhalle Deutschlands ausklingen zu lassen – ein toller Ort zum Bloggen! Tagsüber hatten wir zwei uns gar nicht so viel gesehen und erzählen uns hier gegenseitig von unseren Eindrücken: eine von uns inspiriert, eine sehr wütend. Bevor wir auf den Tag zurückschauen, muss Annie was loswerden:

Annie sieht eine verpasste Chance

Ich kann kaum noch still sitzen. Ich bin genervt. Wütend. Irritiert. Versteh mich nicht falsch, das, was da oben auf der Bühne geleistet wird, ist objektiv wirklich schön – aber meiner Meinung nach verantwortungslos. Es wird schon wieder eine Geschichte über Alexander von Humboldt erzählt. Schon wieder wird Humboldt als Entdecker, als Universalgelehrter, als „Genie, der seiner Zeit 200 Jahre voraus war,“ gefeiert. Endlich, nach 20 Minuten, wird erwähnt, warum er im Alter von 27 Jahren die Welt erkunden konnte: „Der Tod seiner Mutter brachte ihm die Freiheit, nach der er sich sehnte, und das nötige Vermögen dazu.“ Exakt. Das Vermögen. Ja, Humboldt atmete die Luft aller zu seiner Zeit bekannten Vulkane ein – aber das konnte er, weil er reich war. Sein Name steht auf Gebäuden, ziert Universitäten (unter anderem meine eigene), prangt auf dem Banner von Stiftungen, und wieso? Weil er umhergereist ist – weil er reich war.

Warum reden auch wir hier auf einem Wissenschaftskommunikation-Kongress über denselben Mann, wenn es so viele andere gibt, deren Lebenswerk auf die Bühne gehört? Der gesamte Saal sollte die Geschichte Alexander von Humboldts doch schon kennen! Nun hören wir sie aber wieder – und verpassen die Möglichkeit, eine neue Geschichte zu hören: die Geschichte Clara Immerwahrs, die Geschichte Lise Meitners, die Geschichte Emmy Noethers.

Eine weitere verpasste Chance: Dass Historikerinnen und Historiker nahezu keinen Zweifel daran hegen, dass Alexander von Humboldt schwul war, wird nicht erwähnt. Dieser Aspekt, der Neuwert besitzt, und Repräsentation einer marginalisierten Community ermöglicht, wird nicht erwähnt. Wir reden über Verantwortung gegenüber der Umwelt – unserer Welt, unserer Zukunft. Deshalb, so die Erklärung, reden wir ja über Alexander von Humboldt: denn er erkannte schon damals, dass unser Raubbau an unserem Planeten kein gutes Ende nehmen würde. Diese Erklärung hatte mich anfangs noch milde gestimmt und akzeptieren lassen, dass wir schon wieder über einen reichen Mann erzählen, der (meiner Meinung nach) nicht mal des Hypes um ihn entsprechend gut schreiben, oder zeichnen konnte.

Doch dann wird da am Ende noch der Satz von der Kanzel der Bühne geworfen, es reiche ja, wenn man ein Bewusstsein dafür entwickelt. Ein Bewusstsein für die Umweltschäden, die mit dem Verzehr der heißgeliebten 99ct-Ananas käme. „Bewusstsein?!“ Ich schüttel meinen Kopf, wütend. „Was bringt uns euer Bewusstsein, wenn ihr nicht handelt?!“ Veganismus – muss man ja nicht. Verzicht auf Fliegen – reicht ja, wenn man darüber nachdenkt, was das alles bedeutet.

Wie können wir am Ende eines langen Konferenztages über einen angeblichen Umweltschützer reden, wenn am Ende doch „Thoughts and Prayers“ als ausreichende Umweltpolitik durchgehen?! Ich will nicht euer Bewusstsein – ich will bewusstes Handeln. Aber besonders wünsche ich mir einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Macht, die einer gut erzählten Geschichte innewohnt. Wir als Wissenschaftskommunikatoren haben genau diese Verantwortung. Wir müssen bedachtsam die Geschichten auswählen, die wir erzählen. Denn wir sind diejenigen, die Menschen mit Geschichten bewegen können. Es wäre das Mindeste, das auf unserer eigenen Konferenz zu leben.

Marie (be)greift Filz-Mitochondrien...

Im ersten Block meines Forumstages habe ich besonders gemocht, was Eva Haas vom EMBL über „REMIX“ erzählt hat: Grundlagenforschende hätten sich im Zusammenarbeiten mit von Kunstschaffenden von Zwängen freimachen, das eigene Projekt mal anders denken können. Ich habe sie dann noch an ihrem Poster besucht, weil mich ein anderer Erfahrungsbericht an etwas erinnert hat: Vor einigen Tagen war ich in Wien in einem Atelier. Ein Chemiker berät dort seit Jahren den Künstler, vor dessen Installationen wir standen. Während der Chemiker darauf bestand, die Gebilde in Gang zu setzen, sorgte sich der Künstler sinngemäß: „Das ist noch gar nicht fertig. Dieses und jenes soll gar nicht so sein…“ Eva Haas erzählte mir, dass die Kunstschaffenden in ihrem Projekt hätten annehmen müssen, dass ein Status Quo hergezeigt wird – dass sie etwas Unfertiges zulassen müssen.

Eins möchte ich dir auch noch erzählen: Ich habe eine Arbeit aus Filz gelobt, die im Rahmen von REMIX entstand und die Zellen und darin die Kompartimente in groß und stoffig an die Wand bringt. Ist doch toll, dass das Material dazu einlädt, Mitochondrien & Co. nicht nur zu begreifen – sondern tatsächlich zu greifen! Frau Haas berichtete daraufhin, dass die Künstlerin in etwa gesagt habe: „Ich arbeite sonst nicht so abstrakt.“ Abstrakt? Ist das nicht komisch: Was gibt es denn Konkreteres, als die Zellen und ihre Strukturen, die wir da im Mikroskop sehen! Da zeigt sich das unterschiedliche Erleben – eigentlich klar.

…und Annie geht spazieren.

Ich habe langsam mit Kopfschmerzen zu kämpfen. Die Luft im Kongress-Center ist stickig. Eine Besucherin unseres Comic-Workshops kommt auf mich zu: “Ich kann mich kaum noch konzentrieren.” Mir geht es ähnlich, also schnappe ich mir kurzentschlossen meine Jacke, und mach mich auf den Weg in die Stadt. Mein Handy mag die Kälte nicht, und geht aus. Ich finde einen Spielplatz, und krabbel dort in ein kleines Baumhaus. Die Kopfschmerzen verschwinden langsam, und ich atme tief durch: ab zurück zur Konferenz. Vorher kaufe ich noch eine Dose Kaffee als Mitbringsel. Es ist eine kleine Tradition, und ich bin froh, dass ich trotz des vollen Tagesprogramms dazu komme.

Bei Marie in „Berlin”

Ich habe heut viel Tageszeit im Saal „Berlin“ verbracht, weeßte. Ein Gefühl von Weite bekommt man da drin ja trotzdem: mit den großen runden Gucklöchern in die Messehalle. Die Hubbühnen beim Umsetzen von Traversen zu beobachten, fand ich zwischendrin entspannend. Da drin jedenfalls habe ich mich auch in die Werke des Duos Pors & Rao verliebt. „Pygmies“ zum Beispiel ist bezaubernd: an kleine Wesen erinnernde Formen ziehen sich bei Bewegung fix hinter eine Leinwand zurück; um schüchtern wieder herauszuschauen, um bei Ruhe die Lage zu checken. Die zwei Kunstschaffenden erkunden in einer Residency an der ETH Zürich mittels Robotics unfreiwillige Bewegungen die als Antwort auf eine sich verändernde Umwelt ausgelöst werden.

Neulich durfte ich Promovierende in ihre Backstage-Welt eines Naturkundemuseums begleiten. Das in Berlin ist für mich aufgeladen mit Kindheitserinnerungen an riesige Knochenkonstrukte und eine funkelnde Mineralsammlung. Diese beiden Eindrücke bringen mich dazu, dir von „ErbUndGut“ erzählen zu wollen. Das war ein Supermarkt-Setting, in dem Genomediting aus verschiedenen Richtungen beleuchtete wurde. Julia Diekämper erzählte am Nachmittag, dass das Museum als authentische Agora fungieren sollte, in der wir die Bedeutung von „Natur“ und „Natürlichkeit“ diskutieren können. Sie hätten da auch Zuspruch von Besuchenden bekommen, die an ihrer Umfrage mitgemacht haben. Die bekräftigte auch, wie gigantisch die Zielgruppe derer ist, die tatsächlich noch nie von Genomediting gehört haben – oder überhaupt nicht wissen, was sich dahinter verbirgt. Der BfR-Verbrauchermonitor 2019 Seite 7 hat mich dahingehend auch umgehauen.

Das Filmprojekt „Camilla Plastic Ocean Plan”, an dem Angelica Böhm und viele, viele andere schon seit einer Weile arbeiten – das hat mich in der Session „Beyond Storytelling“ gepackt. Die Filmuni Babelsberg liegt bei meinem Papa um die Ecke und ich hatte bereits Überlegungen angestellt, wie wohl Studierende der Szenographie oder Dramaturgie mit denen einer Wissenschaft gemeinsam ein Projekt gestalten würden. Von Ersteren haben an dem Film über Plastikinseln im Ozean schon diverse mitgestaltet – von Letzteren noch nicht, wie mir die Projektleiterin sagte.

An dem Projekt finde ich so cool, dass die Geschichte um Camilla „integrativ“ erzählt wird: verschiedene Leute aus verschiedenen Disziplinen entwickeln sie ständig weiter. Zwei Alfred-Wegener-Institute liefern wissenschaftlichen Rat. Ich wollte von Angelica Böhm wissen, wann sie denn mal „Stop“ sagen würde – dazu, dass weiter Leute dazukommen und mitarbeiten. Sie antwortete in etwa: „Das Plastik ist ja nach wie vor da.“ Ich werde auf der Heimfahrt mal bei Soundcloud in die Geschichten reinhören. Wir Teilnehmenden sollten übrigens die folgende Frage beantworten:

Foto: Marie Niederleithinger

Was wäre das für dich? Ich würde zum Beispiel gerne erkunden, was wir mit den durch medizinischen Fortschritt dazugewonnen Lebensjahren anstellen wollen.

Von einer Begegnung möchte ich dir noch erzählen – weil da jemand auf mich zukam, den Ähnliches bewegt, wie es mich bewegt hat: Er hat Biochemie studiert. Zur Promotion hat er dann – im Gegensatz zu mir – „nein“ gesagt und neben einer technischen Arbeit im Labor seinen eigenen Podcast gestartet. Jetzt möchte er endgültig professionell Wissenschaft kommunizieren. Wer weiß, wer das hier liest… Ich freue mich jedenfalls aufs Reinhören!

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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