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“Die Familie spielt eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung des Interesses an technischen Studiengängen“

07. November 2019

  • Erstellt von Peppi Boesler
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Für ihre Forschungsarbeit wurde Lea Puchert 2018 mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet. Foto: Körber-Stiftung

 

Wie sind Ingenieursstudierende zu dieser Fachwahl gekommen? Studienpreisträgerin Lea Puchert hat sich mit dieser Frage in ihrer Dissertation befasst und kam zu neuen Erkenntnissen, die den gängigen „Technik-Gender-Klischees” nicht entsprechen. Am 19. November wird sie ihre Forschungsarbeit im Rahmen der Dialogreihe Deutscher Studienpreis vor Ort vorstellen und mit Expertinnen und Experten über das Thema diskutieren. Wir haben im Vorfeld mit ihr gesprochen.

Wie kamen Sie dazu, in Ihrer Dissertation die Techniksozialisation weiblicher und männlicher Ingenieurstudierender zu untersuchen?

Die Anregung dazu ging vor allem auf unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Elektrotechnik zurück. Sie beobachteten seit Jahren nur wenige Frauen unter ihren Studierenden, fanden dafür aber keine hinreichenden Erklärungen. Nach ersten Recherchen kristallisierte sich heraus, dass bislang nicht valide untersucht wurde, wie die Studienwahl der Ingenieurstudentinnen zustande kam. Darüber hinaus stellte ich fest, dass auch keine Erkenntnisse zu Wegen junger Männer in das Ingenieurstudium vorlagen. Insofern lag es auf der Hand, in meiner Dissertation sowohl die Entscheidungen der weiblichen als auch die der männlichen Ingenieurstudierenden in den Blick zu nehmen und anschließend die Ergebnisse zu vergleichen.

Mein Interesse für das Thema Technik ist aber auch biographisch verankert. Ich stamme aus einer Familie, in der seit der Großelterngeneration Ingenieurausbildungen absolviert wurden. Meine Mutter ist promovierte Ingenieurin. Das Thema Technik hat mich dadurch von früher Kindheit an begleitet. Interessanterweise sind meine Schwester und ich aber von dieser familiären Tradition abgewichen und haben uns jeweils für einen pädagogischen Beruf entschieden.

Welche Rolle spielt der familiäre Einfluss bei der Studienwahl?

Meine Studie zeigt, dass die Familie eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung des Interesses an technischen Studiengängen hat – sowohl bei jungen Frauen als auch bei jungen Männern. Von einem Bedeutungsverlust der Familie im Kontext der Studien- und Berufsorientierung kann also nicht die Rede sein. In meiner Studie konnte ich vier übergeordnete Verläufe, sogenannte Typen, von jungen Frauen und Männern in das Ingenieurstudium herausarbeiten. In allen vier Typen üben die Familien mit ihren Beziehungsstrukturen, ihren Bildungsprozessen sowie ihren beruflichen Erwartungen einen bedeutsamen Einfluss auf die Studienwahl ihrer Kinder aus. Besonders stark vertreten ist dabei der Typ „frühe technikkulturelle Bildung im familiären Herkunftsmilieu“. Es wurde aber auch deutlich, dass die Studierenden eben nicht, wie häufig angenommen, einfach nur die Fachkulturen und Berufe der Eltern und Großeltern reproduzieren. Ich konnte zeigen, dass auch naturwissenschaftliche Bildung in der Familie, ein technikaffines Peermilieu und bildungsbiographische Selbstbehauptungsprozesse zur Entwicklung eines technischen Studieninteresses beitragen.

Ein überraschendes Ergebnis Ihrer Forschung ist…?

Ein überraschendes Ergebnis meiner Forschung ist eben jene starke Bedeutung der Familie. Gegenüber dem starken familiären Einfluss ist die Bedeutung der schulischen und außerschulischen Bildung eher gering– sie bringt keine Technikorientierungen hervor, sondern erhält und ergänzt eher ein bestehendes Technikinteresse. Auch liefert meine Studie spannende Befunde zum Thema „Technik und Gender“. Ich konnte zeigen, dass bei dem Weg in das Ingenieurstudium das Geschlecht – bei Frauen und bei Männern – eine andere Rolle als gemeinhin angenommen spielt. Der Mythos und das Stereotyp von „den“ Ingenieurstudierenden (z.B. burschikose junge Frauen und nerdige junge Männer) scheint deshalb nicht länger haltbar.

Was haben Sie seit dem Erhalt des Deutschen Studienpreises 2017 gemacht?

Ich habe begonnen, mich einem neuen Forschungsthema zu widmen: den Digitalen Jugendkulturen. Überraschenderweise fehlt es bislang noch an Forschung zu der Bedeutung digitaler Medien für jugendkulturelle Vergemeinschaftung. Neben meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit habe ich mich zudem intensiv in der Gremienarbeit der Universität Rostock engagiert. So bin ich zur Vizepräsidentin des Konzils und Leiterin einer Denkwerkstatt zur Entwicklung der Hochschule gewählt worden.

Sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ihrer Meinung nach selbst mit Bürgerinnen und Bürgern über ihre Forschung kommunizieren?

Wissenschaftskommunikation ist in meiner Perspektive eine zentrale Aufgabe und Herausforderung für uns Wissenschaftlerinnen in der heutigen Zeit. Wir müssen unsere Forschungsergebnisse transparent und verständlich machen, damit wir auch der herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung von Wissenschaft, die sie immer noch hat, gerecht werden können. Unter dem Leitgedanken der sog. „Third Mission“ ist es daher für mich besonders wichtig, den Dialog vor Ort mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu suchen. Unter dieser „Dritten Mission“ wird der Transfer wissenschaftlichen Wissens in Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft verstanden.

Was war Ihr schönstes Erlebnis als Wissenschaftlerin?

Wenn ich ein bis zwei schöne Erlebnisse meiner bisherigen Wissenschaftlerinnenbiographie herausgreifen soll, dann sind es wohl die erfolgreiche Verteidigung meiner Promotion sowie die Verleihung des Deutschen Studienpreises. Die Anerkennung und Auszeichnung meiner Arbeit, aber auch das Mitfiebern und Mitfreuen meiner Familie, Kolleginnen, Kollegen und Freunde hat mich jeweils besonders berührt und bewegt.

Mit welcher (historischen) Person würden Sie gerne essen gehen?

Mit Steffi Graf. Ich bin ein Tennisfan und spiele selber aktiv. „The German Wunderkind“ hat nicht nur beeindruckende sportliche Erfolge erzielt, die bis heute unerreicht sind, sondern macht auch nach dem Sport weiter beruflich Karriere und engagiert sich stark im sozialen Bereich. Statt mit Graf Essen zu gehen, würde ich aber eher mit ihr Tennis spielen wollen.

Ohne Hindernisse wie Geld oder Zeit: Welches Projekt würden Sie gerne umsetzen?

Ein interdisziplinäres und internationales Projekt zum Digitalen Medienhandeln von Jugendlichen und zu Digitalen Jugendkulturen.

Wo kann man Sie außerhalb der Universität antreffen? Welche Orte in Rostock würden Sie als Ihre Lieblingsplätze bezeichnen?

Außerhalb der Universität bin ich gerne in Warnemünde mit meinem Mann auf dem Wasser zum Angeln unterwegs. Dabei kann ich wunderbar entspannen. 

 

Dr. Lea Puchert

Lea Puchert studierte Erziehungswissenschaft und promovierte von 2012 bis 2017 an der Universität Rostock in den Fach- und Spezialgebieten Erziehungswissenschaft, Biographie- und Bildungsforschung. Seit 2014 ist sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Pädagogik und Sozialpädagogik. Für ihre Arbeit „Bildungsziel Ingenieur*in – Techniksozialisation weiblicher und männlicher Ingenieurstudierender jenseits gängiger Technik-Gender-Klischees“ wurde sie 2018 mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet.


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