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Es ist Zeit – Teil 1: Warum mir die Fahrt in einer überfüllten Bahn so lange vorkommt

06. August 2018

  • Erstellt von Nadine Schlichting
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Warum kommt einem die Fahrt in einer überfüllten Bahn so lang vor? Die Autorin Nadine Schlichting hat eine Vermutung. Foto: digital sennin/unsplash Array

Warum kommt einem die Fahrt in einer überfüllten Bahn so lang vor? Die Autorin Nadine Schlichting hat eine Vermutung. Foto: digital sennin/unsplash

Warum erscheinen uns manche Momente wie eine Ewigkeit, andere wiederum vergehen wie im Flug? Was beeinflusst unser Zeitempfinden? Diese Fragen beschäftigen auch Nadine Schlichting: Sie ist Hospitantin bei WiD und promoviert in Experimenteller Psychologie an der Universität Groningen zum Thema Zeitwahrnehmung.

In unserer neuen dreiteiligen Blogreihe „Es ist Zeit“ erklärt Nadine das Phänomen der subjektiven Zeitwahrnehmung. Dabei holt sie Anregungen aus dem Alltag, verknüpft ihre Beobachtungen mit Experimenten und Erkenntnissen aus der Forschung – und entwirft mitunter eigene Theorien. Wie Reize aus der Umwelt unser Zeitempfinden beeinflussen, beschreibt sie im ersten Beitrag.

Es ist Zeit – Teil 1: Warum mir die Fahrt in einer überfüllten Bahn so lange vorkommt

Wer kennt das auch? Sommerhitze, Touristensaison – die Fahrt in einer überfüllten und überhitzten Straßenbahn kommt mir dann ewig lang vor. In einer anderen Situation, wie etwa im Urlaub, vergeht wiederum die Zeit wie im Flug. Warum haben wir so eine verzerrte Wahrnehmung von der Zeit? Und was kann diese beeinflussen?

Als experimentelle Psychologin verstehe ich unter Zeitwahrnehmung, wie lange uns ein Ereignis vorkommt. Diese psychologische Zeit ist nicht gleich physikalischer Zeit. Unsere Wahrnehmung der Zeit wird von vielen Faktoren in unserer Umwelt beeinflusst, wie zum Beispiel von physikalischen Eigenschaften einwirkender Reize. In meiner Forschung teste ich genau das in kontrollierten Verhaltensexperimenten am Computer. Ich zeige den Versuchspersonen einen visuellen Reiz, einen Kreis auf dem Bildschirm, der nach kurzer Zeit wieder verschwindet. Danach bitte ich sie, die Dauer, also wie lange der Reiz zu sehen war, einzuschätzen und eine Taste genauso lange gedrückt zu halten.

 

 

Nun verändere ich verschiedene Eigenschaften dieses visuellen Reizes, in diesem Fall die Größe des Kreises. Ist der Kreis größer, vergeht gefühlt mehr Zeit für die Versuchspersonen. Sie nehmen größere Reize zeitlich länger wahr als kleine Reize. Diese verzerrte Zeitwahrnehmung beobachten Forscher nicht nur bei variierender Größe von Reizen. Auch wenn zum Beispiel Anzahl oder Helligkeit eines Reizes erhöht wird, verändert sich unsere Zeitwahrnehmung – sie erscheint uns länger.

Ich finde es faszinierend, dass Eigenschaften eines Reizes, die eigentlich gar nichts mit Zeit zu tun haben, unsere Wahrnehmung von Zeit trotzdem beeinflussen. Meine Erkenntnis daraus: Mehr Reiz ist mehr gefühlte Zeit.

Was heißt das konkret für unseren Alltag? Da wir noch am Anfang der Forschung stehen, kann ich nur spekulieren. Fahre ich mit einer überfüllten Straßenbahn, wirken auf mich mehr Reize ein: die vielen Passagiere und ihre Interaktionen, die Körperwärme. Daher kommt mir die Fahrt länger vor. Wenn ich in einem sehr kleinen Bürozimmer arbeite, erscheint mir die Arbeitszeit kürzer als in einem Großraumbüro. Im Kino kommt mir ein Film länger vor, weil die Leinwand größer und die Lautstärke höher ist als bei mir zuhause auf dem Sofa.

Doch nicht nur die Anzahl oder die Stärke der Reize verzerrt unsere Zeitwahrnehmung. Auch Emotionen spielen eine Rolle. Inwiefern diese mein Zeitempfinden beeinflussen können, gehe ich im zweiten Teil dieser Reihe nach.    


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