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Gene umschreiben? Reden wir doch darüber!

18. Juni 2019

  • Erstellt von Arwen Cross
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Foto: C. Rieken/Leopoldina

Über zwei Jahre haben wir in Unterhausdebatten und Planspielen die Diskussion über Genomchirurgie angestoßen. Zeit für eine Bilanz – beim Stakeholder-Workshop unseres Projekts „Genomchirurgie im Diskurs“.

Als Mitorganisatorin sitze ich heute beim Stakeholder-Workshop hinter den Bürgerinnen und Bürgern. Auch bildlich gedacht passt das gut: Ich stehe hinter ihnen und ihrem Wunsch, sich mit Forschenden auf Augenhöhe auszutauschen – und heute auch mit Journalistinnen und Journalisten. Denn Genomchirurgie in der Medizin geht uns alle an. Über ihre Anwendungen können nicht nur Fachleute entscheiden. Sie kennen zwar die Grenzen des technisch Machbaren, aber ob und wie wir die Technologie einsetzen, bleibt letztlich eine gesellschaftliche – und politische Entscheidung. Deshalb wollten wir im Projekt „Genomchirurgie im Diskurs“ eine Diskussion mit Bürgerinnen und Bürger über dieses Thema anstoßen.

Nach zwei Jahren ziehen wir Bilanz. Gesundheit ist ein hohes Gut. Doch welchen Preis würden wir dafür zahlen, sie zu erhalten? Inwiefern sind wir (als Gesellschaft) bereit Erbgut zu verändern, um gegen Krankheiten vorzugehen? Würden wir die Blutzellen von Krebspatientinnen und -patienten manipulieren, damit sie Tumorzellen besser bekämpfen können? Würden wir Embryonen behandeln, um Erbkrankheiten zu vermeiden, auch wenn die Änderung an nachfolgende Generationen vererbt wird? Oder würden wir Stechmücken, die Malaria verbreiten, mit einem Gene Drive ausrotten? Was sind die Risiken und Nebenwirkungen dieser Verfahren?

In fünf Unterhausdebatten und drei Planspielen diskutierten wir in ganz Deutschland mit Bürgerinnen und Bürgern über diese und ähnliche Fragen. Einige der Teilnehmenden sind heute zum Workshop gekommen, um Bilanz zu ziehen. Mit dabei sind auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die fachlichen Input gaben, sowie die Journalistinnen und Journalisten, die Seminare bei unserem Projektpartner, der Nationalen Akademie der Wissenschaften – Leopoldina, besuchten. Ich bin gespannt auf ihre Eindrücke. Über den Erfahrungsaustausch hinaus wollen wir heute sehen, wie weit die Debatte vorangekommen ist und wie wir den Diskurs weiterführen können.

Gentherapie wird im Bekanntenkreis nicht diskutiert

Die Bürgerinnen und Bürger kamen aus verschiedenen Gründen zu den Veranstaltungen: Einige kennen Krebsbetroffene aus dem persönlichen Umfeld, andere hatten Lust am Feierabend etwas Neues auszuprobieren. Manche haben nachher ihren Freunden davon erzählt und stellten fest, dass das Thema Gentherapie im Bekanntenkreis nicht diskutiert wird. Alle freuen sich über die neuen Einblicke, auch jetzt bei diesem Workshop. Einige sind weiter auf der Suche nach ähnlichen Angeboten zum Thema Genomchirurgie – kontrovers darf es sein, betonen sie.

Beide Veranstaltungsformate fördern eine aktive Beteiligung: Bei der Unterhausdebatte zeigen die Teilnehmenden nach dem Vorbild des britischen Parlaments ihre Meinung durch die Sitzplatzwahl an, beim Planspiel betrachten sie eine fiktive Situation aus verschiedenen Rollen heraus. Davon sind alle Beteiligten sehr angetan, auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die so nicht nur Vortragende waren, sondern auch Fragen beantworteten, mit dem Publikum diskutierten und ihre persönliche Meinung einbrachten.

Viele der Forschenden halten einen öffentlichen Diskurs zum Thema Genomchirurgie für wichtig – insbesondere, wenn es um Keimbahntherapien geht, bei denen Genveränderungen an die folgenden Generationen vererbt werden. Haben sie etwas für ihre Arbeit mitgenommen? Einige erzählen, dass sie jetzt häufiger aktuelle Forschungsnachrichten sowie ethische Überlegungen in ihre Lehre einbringen.

Die dritte Gruppe beim Treffen sind die Journalistinnen und Journalisten. Für sie ist der größte Mehrwert, sich tiefgehend mit einem wissenschaftlichen Thema zu beschäftigen und persönliche Kontakte mit Forscherinnen und Forscher zu knüpfen.

Wir können die Diskussion über den Einsatz der Gentechnik nicht weiter verschieben

Dass das Thema zu Ende diskutiert ist, glaubt niemand der Anwesenden. Vor allem über Keimbahntherapien – also Genveränderungen, die vererbt werden – müsse noch weiter und breiter in der Gesellschaft diskutiert werden, so die Teilnehmenden. Kontroversen sehen sie auch jenseits der Medizin, zum Beispiel bei Anwendungen der Gentechnik in der Landwirtschaft. Einig sind sie sich auch darüber, dass die Debatte noch stärker in die Medien und die Politik gehört. Hier ist auch die Wissenschaftskommunikation gefragt.

Für mich gibt eine Bürgerin den entscheidenden Impuls: Im Workshop weisen zwei Forscher darauf hin, dass Gentechnik keineswegs neu sei, sondern bereits seit den 80er Jahren eingesetzt wird. Alte Gentechnik oder neue Gentechnik, die ethischen Fragen blieben gleich, sagen sie. Seit Jahrzehnten komme die Diskussion zu Gentechnik nicht voran. Die CRISPR-Cas-Methode markiere nun aber einen Punkt, der diese Diskussion und eine politische Entscheidung zum Thema Gentechnik unausweichlich mache. Denn die Methode habe das Potenzial, Gentherapie schnell in die Klinik zu bringen, so die Forscher.

Dann meldet sich Frau F. aus Heidelberg: „Sie sprechen zwar von alter und neuer Gentechnik, doch für uns ist alles neu.“ Spätestens da wird mir klar, dass wir mit dem Thema keinesfalls durch sind. Die Diskussion kommt kaum voran, und sie kommt bei weitem nicht bei jedem an. Fehlt die Reichweite, die Beteiligung oder der politische Wille diesen Diskurs zu führen? Ende 2018 wurden in China die ersten genetisch veränderten Kinder geboren. Seitdem führen wir nachweislich keine Debatte über Science Fiction, sondern über die Realität. Wir können die Diskussion über den Einsatz der Gentechnik nicht weiter verschieben. Die Gesellschaft muss entscheiden, welche Anwendungen der Genomchirurgie sie für vertretbar hält. Ich bin zuversichtlich, dass uns der Diskurs gelingen kann, denn der Workshop hat gezeigt: Es gibt Bürgerinnen und Bürger, Journalistinnen und Journalisten sowie Forschende, die bereit sind, genau diesen Diskurs zu führen.

 

Weiterführende Infos

Bericht zum Stakeholder-Workshop

Veranstaltungsdokumentation

Über die Formate Unterhausdebatte und Planspiel


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