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Sprache allein ist nicht die Lösung

06. Dezember 2021

  • Erstellt von Sabine Hoscislawski
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Prof. Dr. Nina Janich hat eine Professur für Germanistik – Angewandte Linguistik an der Technischen Universität Darmstadt inne. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt dabei u. a. auf der Wissenschafts- und Wissenskommunikation. Foto: WiD Array

Prof. Dr. Nina Janich hat eine Professur für Germanistik – Angewandte Linguistik an der Technischen Universität Darmstadt inne. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt dabei u. a. auf der Wissenschafts- und Wissenskommunikation. Foto: WiD

„Sobald wir anfangen, etwas sprachlich zu formulieren, kann es passieren, dass es andere Deutungen gibt als die vorgesehene“, sagt Nina Janich, Professorin für Angewandte Linguistik an der Technischen Universität Darmstadt zu Beginn ihrer Keynote am Eröffnungstag des Forum Wissenschaftskommunikation. Ein Beispiel: Das International Panel for Climate Change (IPCC) versuchte in seinem Report aus dem Jahr 2014, prozentuale Wahrscheinlichkeiten aus der Klimaforschung durch alltagssprachliche Wörter auszudrücken, um damit wissenschaftliche Ergebnisse verständlicher zu kommunizieren. Mit einer expliziten Sprachregelung sollte deutlich gemacht werden, was Bezeichnungen wie „virtually certain“ oder „likely“ konkret und damit möglichst präzise in Zahlen bedeuten.

Psycholog*innen haben sich solche Herangehensweisen, die beispielsweise auch die Internationale Agentur für Krebsforschung nutzt, näher angesehen und festgestellt, dass die Versprachlichung wissenschaftlicher Evidenz nicht zur gewollten Eindeutigkeit führt. Ganz im Gegenteil – sowohl Expert*innen als auch Lai*innen interpretierten die Formulierungen häufig unterschiedlich. Sprache allein scheint also nicht der Schlüssel zu gelungener Kommunikation zu sein.

Sprache steht nicht im luftleeren Raum

Zwar sei Sprache das zentrale Mittel der Wissenschaftskommunikation, andere Faktoren seien jedoch ebenfalls relevant, so Janich. Bei der konkreten Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen aus der Wissenschaftscommunity hinaus gelte es zu beachten, wer welche Expertise und welche Verantwortung habe, wenn Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit gebracht und als Basis für gesellschaftspolitische Entscheidungen genutzt werden. Die Rolle der Wissenschaftler*innen dabei sei zumindest wissenschaftsintern nämlich nicht unumstritten.

Aus linguistischer Perspektive sei es daher zuerst einmal wichtig, zwischen den Akteur*innen zu unterscheiden, die wissenschaftliche Ergebnisse kommunizieren. Je nachdem, ob Forschende, Politiker*innen oder Journalist*innen über wissenschaftliche Inhalte sprächen, passiere dies in sehr verschiedenen Diskursräumen, die sich in ihren Diskurslogiken und Diskursroutinen unterscheiden. Dies müsse man sich in der Wissenschaftskommunikation klarmachen, so Janich: Die reine Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse nach außen reiche nicht aus.

Wissenschaftliche Evidenz und noch mehr wissenschaftliche Plausibilität stoße nur dann auf Akzeptanz, wenn innerhalb einer Gruppe Konsens über theoretische Grundannahmen und Methoden herrsche, sagt Janich, und beschreibt diesen „Common Ground“ unter Rückgriff auf den Philosophen Martin Böhnert und den Linguisten Paul Reszke als „Verstehensumgebung“. Nicht zu vernachlässigen sei dabei, dass situative Umstände wie Zeit, Kultur und Gruppenzugehörigkeit sowie individuelle Voraussetzungen diese Akzeptanz prägten. Corona habe eindrücklich gezeigt, dass es unterschiedliche Wissensbestände gibt, die von unterschiedlichen Mehrheiten akzeptiert würden, betont Janich.

Sprache als Ausdruck bewusster Entscheidungen

„Wenn wir über Wissenschaftskommunikation reden, sprechen wir also zuerst über Diskursräume und dann über die unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten und Interaktionspotenziale der semiotischen Ressourcen und Medien“, sagt Janich. Auditive und audiovisuelle Medien folgten ebenfalls einer eigenen Logik, die sich darauf auswirke, wie wir Sprache verwenden können.

Damit Sprache in der Wissenschaftskommunikation zielführend eingesetzt wird, empfiehlt die Linguistin, einen stärkeren Fokus auf Verständlichkeit und Kontextualisierung zu setzen: „Wichtig ist es zu verstehen, dass jeder Wissenschaftskommunikation eine Entscheidung darüber zugrunde liegt, was begrifflich und in Bezug auf die Welt verstanden werden soll. Wissenschaftskommunikation möchte ein bestimmtes Bild bei den Rezipient*innen erzeugen, und das tut sie je nach Medium und Genre mit unterschiedlichen Praktiken und Textmustern.“

Damit dies gelinge, müsse man sich vergegenwärtigen, dass die Erwartungen, wie Wissenschaft „gut“ kommuniziert wird, je nach Publikum, Thema, Situation und kommunikativem Format anders sind. Ein wissenschaftlicher Aufsatz müsse anderen Konventionen folgen als ein wissenschaftsjournalistischer Beitrag oder eine Kinderwissenssendung, und Corona betreffe die Menschen anders als die Energiewende und wieder anders als die Quantenphysik.

Erst (einander) verstehen, dann kommunizieren

Erwartungshaltungen spielen nicht nur eine Rolle in klassischen Kommunikationsformaten, sondern auch dann, wenn Wissenschaftler*innen mit ihrem Wissen aktiv, direkt und ohne journalistische Vermittlung in die Öffentlichkeit treten. Sie müssen sich dann ihrer Rolle als kommunizierende Wissenschaftler*innen bewusst sein, wie der Verweis auf einen Austausch in einem Wissenschaftsblog zeigt.

Janich zitiert beispielhaft die Kommunikation zwischen einem Wissenschaftsblogger und einem Leser, der einen vermeintlichen Fehler gefunden hat. Der Blogger reagierte darauf unwirsch und verwies auf seine Rolle als Experte – allerdings durch die Abwertung des Lesers aufgrund seines nichtwissenschaftlichen Hintergrunds, womit er den Grundstein für eine potenzielle Eskalation des Austauschs legte. Janich fordert daher mehr Empathie, wenn es in den Dialog geht – die Beziehungsebene, die gerade in den sozialen Medien schnell von der Sachebene ablenke, müsse ernster genommen werden. Dazu gehöre auch eine Sensibilisierung gegenüber den jeweiligen Diskursregeln und kommunikativen Rollen, die sich je nach Diskursraum ergeben. Während der Corona-Pandemie sei das beispielsweise in Polit-Talkshows sehr deutlich geworden, wenn Wissenschaftler*innen betont haben, dass sie auf Fragen, die politische Handlungsempfehlungen betreffen, nicht „als Wissenschaftler*innen“, sondern nur als Bürger*innen antworten könnten.

Auf ganz praktischer Ebene fordert Janich, die Fähigkeiten des Dialogführens zu stärken: „In der Wissenschaftskommunikation geht es nicht nur ums Schreiben, sondern auch ums Zuhören.“ Wichtig sei es, wie wir miteinander im Dialog umgehen, dass wir vorurteilsfrei in den Austausch treten, authentisch und transparent seien. „Es geht nicht um die beste Formulierung und auch nicht um das innovativste Format, sondern um eine konstruktive Verstehensumgebung, die wir schaffen und pflegen müssen“, fordert sie.

Keynote: Auf den Punkt? – Wenn es so einfach wäre! Verstehensumgebungen für Wissenschaftskommunikation aus Perspektive der Angewandten Linguistik

Dieser Beitrag ist Teil der Dokumentation zum Forum Wissenschaftskommunikation 2021. Zur kompletten Dokumentation des #fwk21 geht es hier.

Die Keynote zum Nachschauen im Video sowie weitere Sessions des #fwk21 gibt es außerdem auf YouTube


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