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Wissenschaftskommunikation im Zeichen von Corona

20. Juli 2020

  • Erstellt von Michael Wingens
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  • A Wissenschaftskommunikation
Schematische Darstellung des Coronavirus. Array

Was lernen wir aus der Corona-Krise für die Wissenschaftskommunikation? Foto: CDC / Unsplash

Die Corona-Krise und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben weitreichende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation sind dabei nicht nur besonders gefordert, sie haben auch eine große gesellschaftliche Verantwortung. Wissenschaftliche Erkenntnisse stehen im Zentrum des öffentlichen Diskurses und prägen disziplinübergreifend die Entscheidungsfindung für politische Maßnahmen. In einer solchen Ausnahmesituation werden auch die Schwachstellen in den Strukturen und Prozessen des Wissenschaftssystems besonders deutlich. Welche neuen Anforderungen sind entstanden? Welche positiven und negativen Effekte können ausgemacht werden? Und was können wir aus der Pandemie lernen?

Über diese Fragen diskutierten am 30. Juni 2020 Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Monika Lessl von der Bayer AG, Joseph Zens vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam und Volker Meyer-Guckel vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in einer Live-Debatte. Die Veranstaltung wurde organisiert von Wissenschaft im Dialog und dem Stifterverband mit Unterstützung der Bayer AG.

„Wir müssen alle lernen, mit Unsicherheit umzugehen, vor allem auch im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess."

Zu Beginn der Diskussion betonten Jonas Schmidt-Chanasit und Monika Lessl die enorme Bedeutung der Wissenschaftskommunikation. Schmidt-Chanasit zufolge hat sie sogar maßgeblich dazu beigetragen, dass die deutsche Bevölkerung die Corona-bedingten Maßnahmen und Einschränkungen verhältnismäßig gut angenommen haben. Volker Meyer-Guckel schloss sich dieser positiven Einschätzung an und unterstrich die deutliche Reichweitenvergrößerung der Wissenschaftskommunikation seit Beginn der Pandemie. Mai Thi Nguyen-Kims YouTube-Kanal „maiLab“ oder der NDR-Podcast des Virologen Christian Drosten seien positive Beispiele, in denen nicht nur Fakten vermittelt werden, sondern auch die Unsicherheit von Forschung in den Mittelpunkt gerückt werde: „Wir müssen alle lernen, mit Unsicherheit umzugehen, vor allem auch im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Drosten und maiLab muten ihrem Publikum diese Unsicherheiten zu“, so Meyer-Guckel.

Screenshot des digitalen Lunchtalks via Zoom.
Über die neuen Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation diskutierten Expert*innen am 30. Juni 2020 in einer Live-Debatte.

Doch die öffentlich zugängliche, innerwissenschaftliche Debatte hat auch negative Begleiterscheinungen. Josef Zens vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam kritisiert die Berichterstattung der Bild-Zeitung über Drostens jüngste Studie, die bereits vor ihrer offiziellen Veröffentlichung große Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Studie sei „grob falsch“ titelte die Bild-Zeitung und sammelte als Beleg Zitate aus Tweets und Untersuchungen von Wissenschaftlern, die sich kritisch zum Preprint der Studie geäußert haben. Alle zitierten Forscher distanzierten sich öffentlich von der Berichterstattung und beklagten, nicht persönlich mit dem verantwortlichen Redakteur gesprochen zu haben. Es sei ein grober handwerklicher Fehler, eine innerwissenschaftliche Debatte in die politische Arena zu heben, in die sie nicht gehöre, so Zens. Davon müsse sich die Wissenschaft klar abgrenzen.

„Wissenschaft ist im politischen Raum angekommen und sie muss lernen, damit umzugehen.“

Eine Einschätzung, der Meyer-Guckel und der Virologe Schmidt-Chanasit nur bedingt folgen: „Wissenschaft ist im politischen Raum angekommen und sie muss lernen, damit umzugehen“, so Meyer-Guckel. Jedoch sehen die Expert*innen dringenden Bedarf für guten Wissenschaftsjournalismus. Dabei haben wir laut Zens genügend gute Wissenschaftsjournalist*innen in Deutschland. Das Problem sei vielmehr, dass in einer Krise wie der Corona-Pandemie ein wissenschaftliches Thema ‚nach vorne‘ zum aktuellen und politischen Teil einer Redaktion wandere. Es übernehmen die Allrounder. Die Expert*innen sind sich einig: Neben einem guten journalistischen Handwerk brauchen Journalist*innen ein grundlegendes Verständnis von wissenschaftlichen Prozessen und wissenschaftlicher Erkenntnisbildung.

Auf die Publikumsfrage, ob die Corona-Krise im Vergleich zu der Klimadebatte neue Erkenntnisse liefere, äußert sich Zens pessimistisch. Im Falle der Corona-Krise würde man bereits nach kurzer Zeit sehen, ob eine Maßnahme wirkt. Doch bereits nach einem halben Jahr sieht der Pressesprecher des GFZ Potsdam eine Müdigkeit vor Maßnahmen wie Maskenpflicht und sozialer Distanz in der Bevölkerung. Was das für eine fundamentale und schmerzhafte Umrüstung unserer Gesellschaft als Reaktion auf den Klimawandel bedeutet? „Wenn jetzt schon immer weniger Menschen Masken tragen, dann verzichtet doch erst recht niemand auf sein SUV. Forget it!“, sagt Zens.

Weitere Publikumsfragen fokussieren sich auf die Forschung zur Wissenschaftskommunikation: Wissen wir, was Wissenschaftskommunikation tatsächlich bewirkt? Wessen Aufgabe ist es, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung nach außen zu kommunizieren? Während Lessl betont, dass Wissenschaftler*innen Position beziehen und sich äußern müssen, wünscht sich Schmidt-Chanasit häufiger Wissenschaftsjournalist*innen in öffentlichen Formaten wie Talkshows als Übersetzer*innen zwischen Publikum und Expert*innen. Das hätte nach seiner Ansicht die Fixierung auf einige wenige prominente Virolog*innen und die Verschärfung der Debatte verhindert. Angesprochen auf die Messbarkeit des Erfolgs von Wissenschaftskommunikation verweist Zens auf die Vielschichtigkeit der Ziele. Es brauche gute Forschung über Wissenschaftskommunikation, um diese Vielschichtigkeit zu identifizieren und abzubilden.

„Je mehr Menschen wir an dem Prozess der Wissensfindung teilhaben lassen, desto besser kommen wir als Gesellschaft voran.“

Doch mit welchen Anreizen können Wissenschaftler*innen zu mehr Kommunikation mit der Öffentlichkeit bewegt werden? Hier sieht Zens drei zentrale Hebel: Reputation, Zeit und Geld. Vor allem hinsichtlich der Reputation bestätigt Schmidt-Chanasit, dass Wissenschaftskommunikation auch heutzutage immer noch zu einem Reputationsverlust innerhalb des Wissenschaftssystems führen kann. Auch in seinem Institut hätten sich die Forschenden zu Beginn der Pandemie zusammengesetzt und besprochen, „wer es denn machen will“, also mit der Öffentlichkeit und den Medien über Corona zu kommunizieren.

Abschließend sieht Meyer-Guckel den positiven Effekt, dass im Zuge der Corona-Pandemie ein tiefer Einblick in das Wissenschaftssystem möglich wurde. Ein System, welches unsere Gesellschaft widerspiegelt, im Guten wie im Schlechten. „Wir sind Menschen, auch die Forschenden, mit allen Fehlern, Sicherheiten und Unsicherheiten“, so Meyer-Guckel. Auch die Wissenschaftskommunikation betreffe letztendlich die gesamte Gesellschaft. Deshalb sei ein gelungenes Citizen Science-Projekt kommunikativ weitaus wirkungsvoller als eine weitere Pressemitteilung. Auch Lessl sieht in Teilhabe und Transparenz den Schlüssel zum Erfolg und die Grundlage für ein wachsendes Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft: „Je mehr Menschen wir an dem Prozess der Wissensfindung teilhaben lassen, desto besser kommen wir als Gesellschaft voran“, so Lessl.

 

Hier gibt es den digitalen Lunchtalk zum Nachschauen:


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