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„Wissenschaftskommunikatoren sollten Ergebnisse in einen realistischen Kontext setzen“ – Ulrich Wengenroth über Glaubwürdigkeit in der Wissenschaft

23. November 2017

  • Erstellt von Elena Hungerland
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Ulrich Wengenroth. Foto: TU München

25 Jahre lang hatte Prof. Ulrich Wengenroth einen Lehrstuhl für Technikgeschichte an der TU in München inne. Er kombinierte seine zwei Lieblingsdisziplinen Technik und Geschichte, um die Veränderungen von sozialen Systemen in Wandel der Zeit zu analysieren. Ihn interessiert, wie sich die Gesellschaft vor allem aus der Perspektive der technischen Entwicklung verändert. Da er sich sehr für die Moderne interessiert, hat er viel zur Veränderung technischen Wissens und zur Innovationskultur in Deutschland geforscht. Auf dem 10. Forum Wissenschaftskommunikation wird er als Keynote Speaker für Glaubwürdigkeit in der Wissenschaftskommunikation plädieren. Wir haben schon mal vorgehorcht, was er damit meint.

Herr Wengenroth, Sie werden auf dem Forum Wissenschaftskommunikation eine Keynote halten. Worum wird es in Ihrem Vortrag gehen?

Ich möchte ein Grundproblem vieler Wissenschaftskommunikatoren aufzeigen: Dem Publikum wird immer wieder erzählt, was jetzt Großartiges kommt, und das Publikum gähnt schon, wenn es die Überschrift gelesen hat. Da läuft die Kommunikation völlig an den Erwartungen der meisten Leute vorbei und wird deswegen eigentlich auch nicht rezipiert, sondern nur vor denen, die sowieso schon überzeugt sind. Das ist bei der Kommunikation von Entwicklungen in der Wissenschaft und besonders im Bereich Technik der Fall.

Wie kann man denn Technik kommunizieren?

Wir müssen uns zunächst fragen: Was kann man realistischerweise von Technik oder digitalen Technologien in Zukunft erwarten? Denn die wirklich großen Schritte sind schon gemacht: Die Lebenserwartung ist verdoppelt worden, wir haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, von dem wir nicht krank werden, wir leben in klimatisierten Räumen und die Plackerei ist abgeschafft worden. Ähnlich große technische Fortschritte sind voraussichtlich nicht mehr zu erwarten.

Weiterhin wird ja rege geforscht und entwickelt. Können wir überhaupt noch Innovationen erwarten?

Es gibt durchaus eine Zukunft für technische Entwicklungen, aber die Erwartungshaltung muss deutlich heruntergeschraubt werden. Wissenschaftler entwickeln im Bereich der Technik wenig grundsätzlich Neues und beschäftigen sich mehr mit dem Beheben alter Probleme.

Welche Probleme meinen Sie denn?

Wir haben ein Mengenproblem. Wir treffen auf immer mehr Technologien und beschäftigen uns nun zunehmend mit der Reparatur von deren unerwünschten Nebenfolgen. Dabei geht es nicht nur um die Behebung von Mängeln, sondern darum, die Technik insgesamt sicherer zu machen, damit sie trotz immer intensiverer Technikverwendung akzeptabel bleibt.

Könnten Sie dazu ein Beispiel aus dem Alltag geben?

Die Entwicklung des Flugverkehrs. Einen zivilen Flugverkehr gibt es erst seit dem zweiten Weltkrieg. Nach dem Krieg gab es pro Jahr weltweit immer einige hundert Todesfälle durch Flugzeugabstürze. Das scheint die Öffentlichkeit akzeptiert zu haben. Wenn die Flugsicherheit sich nicht weiterentwickelt hätte, dann würden beim heutigen Flugverkehr jedes Jahr 4000 Flugzeuge abstürzen. Um bei den akzeptierten einigen hundert Toten pro Jahr zu bleiben, musste sich die Flugsicherheit um den Faktor 300 verbessern.

Um noch einmal zur Wissenschaftskommunikation zu kommen: Wie kann man Wissenschaft gut kommunizieren?

Wissenschaftskommunikatoren sollten die Ergebnisse in einen realistischen Kontext setzen, damit ihre Leser die Darstellung akzeptieren können. Wenn dem Leser jede kleine technische Neuerung an einem Auto als fünfte, sechste oder siebte Revolution verkauft wird, dann glaubt das keiner mehr. Ich denke an einen Leser, der durch eine spannende Überschrift anfängt zu lesen, dann aber schnell wieder die Lust verliert. Er atmet ein, und lässt beim Weiterlesen enttäuscht die Luft herauspusten. Wenn der Autor aber vorher selbst die Luft herausnimmt und die neuen Entwicklungen im Kontext erklärt, ist er viel glaubwürdiger. Der Leser wird nicht erst angelockt und dann enttäuscht, sondern neutral informiert.

Aber werden die Artikel dann nicht langweilig, wenn man sie so nüchtern schreibt?

Ich sehe das so: Nachrichten, die uninteressant sind, wird man auch nicht interessant machen können. Aufgeplusterte Nachrichten überzeugen sowieso nicht, ruinieren aber auf jeden Fall die Glaubwürdigkeit des Autors und des Mediums. Man muss einfach damit leben, dass die meisten Nachrichten aus Wissenschaft und Technik außerhalb einer Fachcommunity uninteressant sind. Denn die Inhalte konkurrieren mit Klimakatastrophen, politischen Debatten oder Tweets von Trump. Man kann nicht voraussetzen, dass man mit einer Nachricht aus der Wissenschaft wirklich überall ankommt.

Das ist eine ernüchternde Einschätzung für viele Wissenschaftskommunikatoren. Für wen kommunizieren wir dann?

Es gibt eine enorme Hype-Resistenz im Publikum, beim zweiten Superlativ hört der Leser schon auf zu lesen. Außer natürlich diejenigen, die in der PR oder im Marketing tätig sind. Die sind dann natürlich stolz auf die Errungenschaften. Wenn man beruflich in einer PR-Abteilung arbeitet, dann bedient man eher die Erwartungen des Vorstands oder der Hochschulleitung, die das bezahlt, als wirklich in der Öffentlichkeit etwas zu erreichen. Es geht da mehr um Schmeicheleien, Eitelkeiten und um die Weiterfinanzierung von Projekten. Dadurch erreicht man keinen wirklichen Outreach.

Wie können wir in Zeiten von „Fake News“ die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Forschung stärken?

Wenn es zu viel Geschrei gibt, dann wird die Glaubwürdigkeit der ganzen Branche gering. Was glaubwürdig sein sollte, hat nur dann eine Chance, wenn es „plattfüßig“ daher kommt und nicht übertrieben wird. Man signalisiert Seriosität nicht durch den Lautsprecher, sondern durch halbe Lautstärke.

Die Inhalte des Interviews spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider. Wir freuen uns auf eine Diskussion nach der Keynote am 28. November um 9 Uhr auf dem 10. Forum Wissenschaftskommunikation in Braunschweig.


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