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Dr. Christiane Fröhlich

Foto: privat
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Wie entwickeln sich die Fluchtbewegungen in den nächsten Jahren? – ein Gespräch mit Dr. Christiane Fröhlich

Die Friedensforscherin Dr. Christiane Fröhlich ist Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich insbesondere mit umweltbedingter Migration und dem Zusammenhang zwischen (Gewalt-)Konflikten und menschlicher Mobilität.

25.10.2016

Erleben wir momentan besonders starke Fluchtbewegungen nach Europa? 

Flucht- und Migrationsbewegungen sind kein neues Phänomen; im Gegenteil sind sie historisch gesehen eher die Regel als die Ausnahme. Im 19. Jahrhundert sind ca. 50 Millionen Europäer nach Nordamerika ausgewandert; ein Jahrhundert später fand Migration in hohem Maße innerhalb Europas statt. Außerdem sollten heutige Fluchtbewegungen in Relation gesehen werden. 2015 sind etwa eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Gemessen an der Einwohnerzahl der EU von etwa 743 Millionen ist das sehr wenig. Zudem vergessen wir bei der Einordnung der Zahl oft, dass die allermeisten Flüchtlinge weltweit nicht von Industriestaaten aufgenommen werden, sondern als Binnenflüchtlinge in ihren Ländern bleiben oder in den Nachbarstaaten des Globalen Südens leben. Europa ist also keineswegs das Zentrum globaler Fluchtbewegungen.

Gibt es konkrete Modelle und Berechnungen, wie sich die Fluchtbewegungen in den nächsten Jahren entwickeln?

Natürlich gibt es Hochrechnungen und diese sind sicherlich auch notwendig, wenn es darum geht, im Politikbetrieb Planungen voranzutreiben. Man sollte diese Hochrechnungen aber mit Vorsicht genießen, denn abhängig von den verwendeten Variablen kommen sie zu sehr unterschiedlichen Vorhersagen. Ich finde es daher schwierig, wenn die Zahlen einzelner Hochrechnungen dazu verwendet werden, bestimmte politische Entscheidungen zu legitimieren. Denn letztlich sind die Hochrechnungen eben immer nur eine Version einer möglichen Zukunft. Die zentrale Frage ist m.E. eher, welche Diskurse mit einer Hochrechnung unterstützt werden. Sind es Ausschlussdiskurse, die auf Abschottung abzielen? Oder geht es darum, Schutzsuchenden zu helfen?

Was sind häufige dahinterliegende Gründe von Fluchtbewegungen?

Üblicherweise werden die sogenannten Push-Faktoren für menschliche Mobilität in wirtschaftliche, soziale, demografische, politische und ökologische Gründe kategorisiert. Dazu kommen noch Pull-Faktoren, beispielsweise Migrationsnetzwerke, die mitbestimmen, welches Land angesteuert wird. Im internationalen Recht ist außerdem festgelegt, welche Fluchtgründe Schutz legitimieren und welche nicht. Allerdings müssen wir uns die Frage stellen, ob die Genfer Flüchtlingskonvention in Zeiten von Globalisierung und globaler Erderwärmung noch zeitgemäß ist. Denn die Rolle des massiven Ungleichgewichts zwischen dem sogenannten Globalen Norden und Süden für menschliche Mobilität bildet sie nicht ab. Eine Diskussion über diesen Zusammenhang – wenn diese auch noch so unbequem für uns ist – ist dringend angezeigt.

Welchen Beitrag kann die Wissenschaft in dem Diskurs leisten?

Wissenschaft kann die aktuellen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Gegebenheiten im Bereich Flucht, Migration, Integration und gesellschaftlicher Frieden einer kritischen Überprüfung unterziehen. Gleichzeitig muss aber auch gehört werden wollen, was die Wissenschaft zu sagen hat, wenn die Erkenntnisse Wirkung entfalten sollen.

Mehr zum Thema: Flucht und Migration in der Glaskugel der Wissenschaft – Was wissen wir heute über Fluchtbewegungen von morgen?