Prof. Dr. Oliver Holtemöller

Welche Auswirkungen haben Flüchtlinge auf die Wirtschaft in Deutschland? – ein Gespräch mit Prof. Dr. Oliver Holtemöller.
Der Makroökonom Prof. Dr. Oliver Holtemöller ist Leiter der Abteilung Makroökonomik und stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lehrt er Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik.
20.9.2016
Wie wirkt sich die Flüchtlingsmigration auf den deutschen Arbeitsmarkt aus?
Es spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle über die man Annahmen treffen muss, wenn man sich die allgemeinen Auswirkungen von rund einer Million Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt ansieht. Nicht alle Flüchtlinge werden auch tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt ankommen. Wir haben in der Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute dazu konkrete Berechnungen angestellt. Schätzungen für das Jahr 2015 belaufen sich auf etwa 89.000 Menschen, die zusätzlich auf den Arbeitsmarkt gekommen sind. Und selbst wenn alle Asylanträge entschieden sind, rechnen wir mit nicht mehr als etwa 300.000 Personen, die im Jahr 2016 zusätzlich auf den Arbeitsmarkt kommen werden.
Woher kommt diese deutlich geringere Zahl?
Bei all den Asylanträgen fallen einige Entscheidungen auch immer negativ aus. Nach unseren Abschätzungen liegt die Gesamtschutzquote bei etwa 70 Prozent. Von den Personen mit einem positiv entschiedenen Antrag wird ein Teil Deutschland wieder verlassen, ein anderer Teil ist gar nicht im erwerbsfähigen Alter. Selbst unter den Personen im erwerbsfähigen Alter partizipieren nicht alle am Arbeitsmarkt. So ist insbesondere bei Migranten aus Nicht-EU-Ländern die Beschäftigungsquote der Frauen deutlich geringer als die von den bereits hier lebenden Frauen. Außerdem durchlaufen einige zunächst Sprachkurse oder andere Qualifizierungsmaßnahmen.
Hat das auch Verdrängungseffekte auf schon bestehende Arbeitsplätze?
Man muss deutlich zwischen den Qualifikationsniveaus unterscheiden. Menschen die nach Deutschland kommen, konkurrieren grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt mit anderen Menschen mit vergleichbaren Qualifikationen. Eine grundsätzliche Bedrohung deutscher Arbeitskräfte ist mit der Flüchtlingsmigration aber nicht verbunden. Denn dafür sind die Voraussetzungen und Qualifikationen zu verschieden. Die Flüchtlinge, die jetzt gekommen sind, stehen eher in Konkurrenz zu den Migranten, die schon hier sind. Man kann sicherlich nicht sagen, dass Arbeitsplätze für Deutsche unterm Strich entfallen. Aus Studien aus Großbritannien und den USA weiß man allerdings, dass Migration gerade im Niedriglohnbereich zu einem niedrigeren Anstieg der Löhne führen kann.
Was bedeutet die Flüchtlingsmigration finanziell für Deutschland?
Die kurzfristigen Kosten, die mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zu tun haben und in der öffentlichen Diskussion ganz stark im Mittelpunkt stehen, halte ich für das geringste Problem. Durch die aktuellen Steuerüberschüsse von rund 20 Milliarden Euro kann Deutschland die kurzfristigen Kosten der Flüchtlingsmigration auch ohne Steuererhöhungen stemmen. Es ist sogar gesamtwirtschaftlich so, dass insbesondere die Bereiche Unterbringung und Versorgung für Mehrbeschäftigung in Deutschland gesorgt haben und in Deutschland durch die Flüchtlingsmigration sogar neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Die wesentlichen Kosten bestehen in der langfristigen Integration: Wir werden mehr Erzieher und Lehrer brauchen und auch mehr Sozialausgaben haben. Wenn Deutschland aber in die Bildung investiert, können schon ab in zehn Jahren, wenn die Beschäftigungsquote der Flüchtlinge in etwa der heimischen Quote entspricht, die positiven Effekte überwiegen.
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