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Prof. Dr. Heidrun Kämper

Foto: privat
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Die Bedeutung der Sprache in der Flüchtlingsdebatte – ein Gespräch mit Prof. Dr. Heidrun Kämper

Die Linguistin und Politologin Prof. Dr. Heidrun Kämper ist Professorin am Institut für Deutsche Sprache (IDS) der Leibniz-Gemeinschaft. Sie leitet den Arbeitsbereich sprachliche Umbrüche des 20. Jahrhunderts. 

4.10.2016

Welche Rolle hat Sprache in der Berichterstattung und in der Meinungsbildung?

Sprache hat immer – egal worum es geht – die entscheidende Rolle, denn wenn wir uns über die Wirklichkeit unterhalten, dann benutzen wir Sprache. Insofern ist Sprache grundlegend und bedeutet, dass – je nachdem welche Wörter wir wählen – wir mit der Sprache die Wirklichkeit prägen. Jeder sprachliche Ausdruck hat ein Wirkungspotential und jedes ausgesprochene Wort wirkt in der Welt. Es gibt momentan Versuche von der AfD, beispielsweise, mit Tabus zu brechen und Ausdrücke wieder in den Stand der sagbaren Wörter zu erheben. Denn bei jedem Ausspruch eines tabuisierten Worts sinkt die Schwelle der Nutzung dieses Wortes. 

Was bedeutet die Tabuisierung von Wörtern und welchen Effekt hat sie?

Political Correctness hat keinen guten Ruf. Es werden durch eine Tabuisierung einzelne Wörter in den Status der nicht-sagbaren Wörter erhoben. Dabei geht es aber gar nicht darum einen Index zu schaffen. Political Correctness existiert deshalb, weil man mit Sprache auch verletzen, diskriminieren und zerstören kann. Wir sollten aber nicht zulassen, dass man mit Sprache verletzt, denn Sprache selber ist unschuldig. Einzelne Wörter haben aber eine Geschichte und transportieren mit jedem Gebrauch auch diese Geschichte. Gerade in Bezug auf die NS-Zeit gibt es Wörter, die absolut tabu sind, weil sie ein rassistisches und nationalistisches Bedeutungspotential haben und jede Verwendung eines Wortes wie beispielsweise „völkisch“ eine Aufforderung an all diejenigen ist, die sich ohnehin einen anderen Umgang mit der Geschichte in Deutschland wünschen.

Welche Wörter fallen einer Linguistin in dem Diskurs über Flüchtlinge besonders auf?

Mich stören Wörter wie Flüchtlingsflut oder Flüchtlingswelle, weil sie große Dimensionen suggerieren. Wenn wir das Wort „Flut“ hören, dann denken wir an eine große Gefahr, die auf uns zurollt. Das erzeugt Angst, wenn auch nur vielleicht im Unterbewusstsein. Es gibt zudem eine Diskussion, ob wir das Wort „Flüchtling“ ersetzen sollten, denn im Deutschen erweckt die Endung -ling eine gewisse negative Assoziation. Typische Beispiele sind „Schädling“, „Sträfling“ oder „Feigling“. Aus diesem negativen Kontext will man das Wort „Flüchtling“ herausnehmen. Alternativen wären hier zum Beispiel „Geflüchtete“ oder „Migrant“, auch wenn letzteres wieder eine etwas andere Bedeutung hat. Andererseits ist es auch so, dass das Wort „Flüchtling“ derart etabliert ist, dass es vermutlich gar nicht so einfach zu ersetzen wäre. Man kann noch so sehr argumentieren, warum „Geflüchtete“ das bessere Wort ist, letztendlich ist die Sprachgemeinschaft  sozusagen der Souverän, indem sie bestimmte Wörter benutzt und andere nicht. 

Was wünschen sie sich in der aktuellen Diskussion?

Ich wünsche mir eine Reflexion darüber, dass die Tatsache, dass wir hier leben uns nicht dazu berechtigt anderen Menschen dies zu verweigern. Und ich wünsche mir, dass bei jedem Reden über Geflüchtete der erste Satz unseres Grundgesetzes gewahrt bleibt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Denn wir reden hier über Menschen und mit jeder diskriminierenden Aussage wird die Würde des Menschen angetastet. Wir sollten daher stärker in den Vordergrund stellen wie wichtig Sprache in allen Zusammenhängen ist und daher auch Linguisten stärker in den gesamten Diskurs um Geflüchtete mit einbeziehen. 

Mehr zum Thema: Von der Willkommenskultur zum Kontrollverlust – Welche Rolle Medien und Sprache in der Flüchtlingsdebatte spielen