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Dr. Laurence Marfaing

Dr. Laurence Marfaing vom GIGA Institut
Dr. Laurence Marfaing Bild: GIGA Institut

Über Flüchtlinge in und aus Afrika – ein Gespräch mit Dr. Laurence Marfaing

Die Historikerin Dr. Laurence Marfaing ist Senior Research Fellow am GIGA German Institute of Global and Area Studies Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit Mobilität und Migration in Westafrika.

25.10.2016

Wie unterscheidet sich Flucht von Migration?

Flucht und Migration sind zwei völlig verschiedene Konzepte und demnach sind auch völlig verschiedene Menschen davon betroffen. Flucht hat immer mit Krisen und Konflikten zu tun. Der Begriff des Flüchtlings ist aber ganz klar rechtlich definiert und führt dazu, dass viele Menschen, die über Jahre hinweg von Krieg, Konflikten und Krisen heimgesucht werden, dennoch nicht als Flüchtling anerkannt werden. Auf dem afrikanischen Kontinent leben etwa 18 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Das sind 26 Prozent der weltweiten Flüchtlingsbevölkerung. Doch aufgrund der rechtlichen Definition werden Personen aus westafrikanischen Staaten in Europa oftmals nicht als Flüchtling, sondern nur als ökonomischer Migrant gesehen – auch trotz des Krieges in der Elfenbeinküste zwischen 2010 und 2011 und den aktuellen Auseinandersetzungen im Norden Nigerias oder in Mali. Da Armut auch eine Form der Gewalt gegenüber Menschen darstellen kann, ist die Trennung zwischen klar rechtlich definierten „Flüchtlingen“ und Migration – oft gleichgesetzt mit ökonomischer Migration – künstlich.

Was umschreibt den Migrationsbegriff demgegenüber?

Migration in Afrika ist inhärent mit dem Alltag verbunden. Daher möchte ich die Wörter Flucht und Migration nicht miteinander verknüpfen. Da der Migrationsbegriff sehr oft in Europa begrifflich von der irregulären Migration in Beschlag genommen wurde und zudem die Bewegungen in Westafrika nicht angemessen beschreibt, spreche ich von Mobilität. Westafrika ist eine Region, wo Mobilität sehr stark verbreitet ist, da sie Überlebensstrategie ist. Viele Menschen bewegen sich zwischen westafrikanischen Ländern in teilweise jährlichen Zyklen und nehmen verschiedene Beschäftigungen beispielsweise in der Agrarwirtschaft oder im Handel mit Gütern an. Dennoch kehren sie in regelmäßigen Abständen in ihre Heimatregion zurück. Ich spreche deswegen auch von zirkulärer Migration, wenn ich den Begriff „Migration“ nutze. Es ist also ein ganz anderes Modell von „Migration“ als in Europa, das in Afrika stattfindet. Denn die allermeisten Menschen in Westafrika sind innerhalb ihrer Region mobil – nach Europa begeben sich demgegenüber nur ein Bruchteil dieser Menschen.

Wie sehr prägen Kriege und Konflikte den afrikanischen Kontinent?

Wenn man etwas zurückschaut, hatte man in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Kriegen auf dem afrikanischen Kontinent. Menschen, die aus den Kriegsregionen geflohen sind, leben teilweise noch heute in Flüchtlingslagern in den Grenzregionen, die über 20 Jahren fortbestehen. Und die Situation in den Flüchtlingslagern ist oftmals sehr prekär. In Kenia gibt es mit Dadaab das größte Flüchtlingslager der Welt, in dem zeitweilig bis zu 500.000 Menschen gleichzeitig lebten. Auch im Tschad leben derzeit 400.000 Menschen, die auf der Flucht vor Konflikten und Kriegen in den Heimatländern sind. Die Thematik der Flüchtlingslager, die  - anders als in Europa -  in Afrika vom ICRC und der UNHCR geführt werden, ist also sehr eng mit dem afrikanischen Kontinent verknüpft und wird kaum in den Nachrichten Europas wahrgenommen.

Hat Europa die Problematik ignoriert?

In Europa ist die Thematik schlicht über Jahre hinweg nicht beachtet worden. Der aktuelle Zuzug von vielen Flüchtlingen aus Syrien führte dazu, dass Europa realisiert hat, dass es nicht nur ein globales Migrationsproblem, sondern auch ein Flüchtlingsproblem in der Welt gibt. Selbst die Situationen in Lampedusa, Ceuta und Melilla in den letzten Jahren haben nicht dazu geführt, dass die Thematik in Europa diskutiert wurde. Dabei gab es gerade in den letzten Jahren viele Menschen aus dem Kongo – wo es seit zwanzig Jahren immer wieder Krieg bzw. wiederkehrende kriegerische Auseinandersetzungen gibt – die den Weg nach Europa versucht haben. Obwohl sie in Marokko angekommen sind, weil sie dem Krieg entflohen sind, haben sie den Status „Flüchtling” nie bekommen und wurden als ökonomische Migranten angesehen. Die Grenze der Definition zwischen Migrant und Flüchtling ist sehr porös – und das Ergebnis kann für einzelne Menschen fatal sein.

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