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Prof. Dr. Jochen Oltmer

Welche Rolle unsere eigene Situation bei der Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen spielt – ein Gespräch mit Jochen Oltmer. 

Jochen Oltmer ist Professor für Neueste Geschichte der Migration am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.

2.8.2016

Wie bewerten Sie den aktuellen Diskurs?

Ich habe den Eindruck, dass im Kontext der gesellschaftlichen, öffentlichen, politischen, aber auch wissenschaftlichen Debatten, die jetzt geführt werden, wieder eine sehr starke Fokussierung auf den Integrationszusammenhang stattfindet und völlig aus dem Blick gerät, dass wir in diesem Kontext auch über Migration, über die Bewegung sprechen müssen, und eben über die Verbindung von Migration und Integration, die so klar – wie sie zu sein scheint – nicht unbedingt ist. Migration ist Bewegung, Fluktuation und die Sesshaftwerdung keineswegs die Regel. Integration kann also eine Folge von Migration sein, muss aber nicht. 

Welche Fragen sind für die Wissenschaft noch offen?

Mir fällt vor allem auf, dass danach gefragt werden muss, was 2015 eigentlich passiert ist und was Auslöser für die starke Flüchtlingszuwanderung waren, nachdem die Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte von der Problematik nicht tangiert worden ist. Denn dazu sehe ich nicht, dass die Wissenschaft etwas liefert. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Art Ersatzfluchtziel geworden, weil die klassischen Asylländer in Europa – Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Belgien – als Zielländer nicht zur Verfügung standen. 

Was könnte denn eine Ursache für diesen Wandel sein?

Es gibt erhebliche Unterschiede, was die Aufnahmebereitschaft in Europa anbelangt. Das hat sehr stark mit Diskursen zu tun, wie beispielsweise dem sehr wirkungsmächtigen Diskurs des Fachkräftemangels und demografischen Wandels in der Bundesrepublik. Diese haben dazu beigetragen, dass nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung zu der Auffassung gelangt sind, dass Migration tatsächlich etwas sein könnte, was positiv wirkt. Das hat in den Debatten im vergangenen Jahr in Hinblick auf die Aufnahmebereitschaft eine große Rolle gespielt.

Und wie kann die Wissenschaft zu Integration beitragen?

Man kann manches durch die Beobachtung von vergangenen Migrations- und Integrationsprozessen lernen, um zu verstehen, worauf unterschiedliche Kollektive in unterschiedlichen Konstellationen besonders achten. 

Wir müssen die spezifischen Perspektiven im Auge behalten und auch danach fragen, wie es dazu kommt, dass die einen Menschen oder Kollektive, die zu uns kommen, mit Mustern der Fremdheit belegt werden, wohingegen andere mit Mustern von Nähe belegt werden. Wir sehen, dass bei günstigen Bedingungen der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktkonstellation diese Integration einfacher bzw. leichter wird. In Situationen von Krisen wird viel stärker Distanz als Aspekt betont, der auf die Schwierigkeiten und Probleme der Integration abzielt. 

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