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Warum wir jetzt in die psychische Gesundheit von Flüchtlingen investieren sollten – ein Gespräch mit Dr. Maggie Schauer. 

Die Psychologin Dr. Maggie Schauer arbeitet am Lehrstuhl für klinische Psychologie und Verhaltensneurowissenschaften und leitet das Kompetenzzentrum Psychotraumatologie an der Universität Konstanz.

9.8.2016

Wie steht es um die psychische Gesundheit der Flüchtlinge?

Wenn Geflüchtete in sichere Aufnahmeeinrichtungen kommen, dann herrscht oftmals momentan große Erleichterung und Euphorie. Der Gesundheitszustand wird dann von den Menschen eher positiv überschätzt. Erst nach einiger Zeit treten die psychischen Probleme deutlicher zutage. Wir haben in deutschen Gemeinschaftsunterkünften aufgenommene Flüchtlinge systematisch befragt, wie sich die eigene Gesundheit verändert hat, seit sie in Deutschland sind. Während bei der körperlichen Gesundheit wenig Änderungen berichtet werden, hat sich der psychische Gesundheitszustand seit der Ankunft in Deutschland bei 60 Prozent verschlechtert, mitunter auch massiv.

Was sind die Folgen, wenn wir die psychischen Erkrankungen nicht hinreichend schnell behandeln?

Unbehandelte Traumatisierungen bedeuten Leid, täglich und auch in der Nacht. Das geht auch am Körper nicht spurlos vorüber – chronische Erkrankungen nehmen dann zu. Hier gibt es sogar transgenerationale Effekte. Wir brauchen also einen Paradigmenwechsel! Wir müssen an der psychischen Gesundheit, insbesondere an der Funktionstüchtigkeit der Leute ansetzen und in diesen Bereich mehr Ressourcen und begleitende Forschung investieren. Davon hängt langfristig die soziale und berufliche Integrationsfähigkeit dieser Menschen ab, ihr Glück und das der sie aufnehmenden Gesellschaft ab.

Welche Behandlungsmethoden eignen sich denn besonders bei den Flüchtlingen?

Es kommt darauf an, was die Personen erlebt haben. In der Regel ist es so, dass einem Menschen, der vor Krieg und Terror flüchten musste, nicht nur ein einzelnes Ereignis widerfahren ist. Auch in der Psychotraumatologie hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt, dass nicht ein ‚Mono-Trauma‘ das Problem darstellt, sondern die vielfältigen Schrecken und Belastungen beginnen allzu oft bereits mit Gewalt in Kindheit und Jugend. Multiple Ereignisse türmen sich zu einem sogenannten ‚Bausteineffekt’ auf. Wir sprechen deshalb mit psychisch kranken Menschen über deren ganze Biografie und bearbeiten die traumatischen Erlebnisse, die Momente des Leidens und auch der sozialen Schmerzen.  Parallel lassen wir die guten Lebenserfahrungen, Ressourcen, Erfolge, positive Gefühle für liebe Menschen aufleben. Es geht um eine Gesamtschau des Lebens, darum, personale Identität wiederzufinden sowie die Würdigung der Person und ihrer Biografie. Wichtig ist es zudem, Stellung zu beziehen bei Menschenrechtsverletzungen.

Wie hängt denn der psychische Zustand mit der Integration zusammen?

Geflüchtete mit Traumasymptomen, die beispielsweise schlecht schlafen, misstrauisch sind, Angst vor anderen Menschen haben oder sich schlecht konzentrieren können und vieles mehr, haben häufig auch Probleme mit der Integration. Die Gastgesellschaft wünscht sich von geflüchteten Menschen oftmals Offenheit für die neue Kultur, soziale Kompetenz und viel Elan, um die komplexen Herausforderungen anzupacken, aber dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden, ist für Flüchtlinge und Vertriebene unter den Voraussetzungen ihrer psychischen Situation oftmals nicht zu bewerkstelligen. Das Kennzeichen einer Traumafolgestörung ist, dass ich mit meinem Erleben und Denken nicht wirklich in der Gegenwart angekommen bin, sondern dass mich mein Gedächtnis immer wieder – und ohne, dass ich das kontrollieren kann – in die traumatische Vergangenheit zurückholt. Und so lange ich nicht wirklich hier bin, kann ich nicht gut auf die Gegenwart reagieren. Zentral für die Geflüchteten ist, einen Platz in unserer Gesellschaft zu finden, Anerkennung zu bekommen. Und diese wiederum entsteht in unserer Gesellschaft vor allem über Leistung und soziale Einbindung. Sozialer Ausschluss führt in eine psychische Abwärtsspirale, während leistungsfähige, beliebte und sozial kompetente Personen Anerkennung erfahren und so zunehmend heilen – eine Psychotherapie oder kontinuierlicher Beistand gibt oftmals den Anstoß in die richtige Richtung!

 

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