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Prof. Dr. August Stich

Warum Tuberkulose, Krätze und Co in Flüchtlingsunterkünften ausbrechen – ein Gespräch mit Prof. Dr. August Stich. 

Prof. Dr. August Stich leitet die Tropenmedizin an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg. In seiner Fachabteilung beschäftigt er sich vor allem mit importierten Infektionskrankheiten und Migrantenmedizin. 

9.8.2016

Bringen Flüchtlinge Krankheiten nach Deutschland?

Es gibt zu dem allgemeinen Zustand der Erkrankungen erstaunlich wenig gute Daten und es fehlt vor allem an einer systematischen Erfassung. Es gibt Erhebungen vom Robert-Koch-Institut, diese fokussieren sich aber auf die meldepflichtigen Infektionskrankheiten. Dennoch kann man mit großer Sicherheit sagen, dass die meisten Ursachen, die zu einer Konsultation von Ärzten führen, relativ banale Dinge sind, wie sie deutsche Mitbürger auch haben. Es gibt aber – im Gegensatz zu den Deutschen – ein ganz großes Schwergewicht zu psychosozialen Problemen, Traumatisierungen und Folterfolgen. 

Werden denn die Krankheiten der Flüchtlinge bei der Registrierung erfasst? 

Beim Erstkontakt an der Grenze werden „Erstscreenings“ durchgeführt. Da geht es darum, ob es Krankheiten gibt, die akut interventionsbedürftig sind. Dann wird in den ersten Tagen in der Unterkunft eine Untersuchung vom Gesundheitsamt durchgeführt. Der Fokus liegt dabei aber weniger auf der medizinischen Hilfe für die Flüchtlinge, sondern wieder darauf, die Einschleppung ansteckender Krankheiten zu verhindern. Dabei ist es von Bundesland zu Bundesland extrem unterschiedlich, was alles bei der Untersuchung gemacht wird. Manche Bundesländer machen nur Röntgenbilder, andere eine Komplettuntersuchung bis hin zum Blutbild. 

Besteht eine erhöhte Ansteckungsgefahr bei Flüchtlingen?

Wir sehen bei den Flüchtlingen mehr Krankheiten – auch gefährliche. Aber es ist falsch zu sagen, durch die Flüchtlinge werden wir gefährdet. Eine Gefährdung besteht für die anderen Flüchtlinge, die in enger Lebensgemeinschaft und unter teilweise schlechten hygienischen Bedingungen zusammenleben und nicht für die allgemeine deutsche Bevölkerung. Medial ist das aber nicht so leicht rüberzubringen, denn wir beobachten Fälle von Tuberkulose, Krätze und Darminfektionen. Aber wenn man sich überlegt, wie die Krankheiten übertragen werden, dann setzten sie eine enge Lebensgemeinschaft voraus. Je enger die Menschen zusammenleben und je schlechter die hygienischen Bedingungen in den Unterkünften sind, desto höher ist die auch Ansteckungsgefahr. Das Robert-Koch-Institut hat in den letzten 10 Jahren Krankheitsausbrüche in Flüchtlingsunterkünften untersucht und man kann sagen, dass die Anzahl dort um ein vielfaches höher ist als in vergleichbaren anderen Massenunterkünften wie Kinder- oder Altersheimen. 87 Prozent der festgestellten Krankheiten haben die Menschen sogar hierzulande bekommen. Sie hätten dementsprechend durch Impfungen oder Hygienemaßnahmen in den Unterkünften verhindert werden können. Die Impfungen für Flüchtlinge sind eigentlich auch über das Asylbewerberleistungsgesetz abgedeckt. Nur: Es muss eine Struktur geben, die diese Impfungen auch verabreicht. 

Was kritisieren Sie an der gesundheitlichen Versorgung der Flüchtlinge?

Grundsätzlich ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge sehr eingeschränkt: Das ist etwas, was wir auch sehr stark kritisieren. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland zwischen Asylbewerber und Nichtasylbewerber unterscheiden, wenn es um die medizinische Versorgung – also den Zugang zum Menschenrecht Gesundheit – geht. Wenn wir sagen, wir wollen dagegen etwas tun, dann müssen wir die Lebensbedingungen dramatisch verbessern und ganz schnell Richtung Integration und einem niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung steuern.

 

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