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Dr. habil. Nils Zurawski

Über die Terrorangst in Deutschland – ein Interview mit Dr. habil. Nils Zurawski. 

Der Soziologe und Kriminologe Dr. habil. Nils Zurawski arbeitet am Institut für Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg.

23.8.2016

Ein Großteil der Bevölkerung fürchtet sich vor einem Terroranschlag in Deutschland. Warum ist die Angst vor Terror so groß?

Wenn wir sagen, dass die Angst heute besonders hoch ist, dann kann man die Aussage nur dann verwerten, wenn man sich anschaut, auf welchem Niveau die Angst zuvor war. Man muss also die Angst in die entsprechenden Relationen setzen. Wenn man die Terroranschläge der Vergangenheit bis zum Jahr 2000 berücksichtigt – bei allen Anschlägen der RAF, die Anschläge der Organisation des Schwarzen Septembers, dem Anschlag auf La Belle in Berlin und Lockerby und vielen anderen mehr – fällt es schwer zu glauben, dass damals die Angst nicht ähnlich hoch war wie heute. In der Tat kommt uns die Angst vor dem Terror jetzt aber sehr nah vor. Ein Unterschied ist ganz bestimmt die veränderte Medienwelt, die heute mehr denn je zuvor wie ein Beschleuniger der Wahrnehmungen ist und damit auch so etwas wie ein Verstärker von Angst, da auf allen Kanälen das immer gleich immer wieder gesendet wird. Das Wesen des Terrorismus ist immer, dass er plötzlich, unerwartet und brutal zuschlägt – und letztlich eine Form politischer Kommunikation darstellt. Denn wie die IRA einst zu Thatcher sagte: „Ihr müsst jeden Tag Glück haben, wir nur ein einziges Mal.“ Das ist tatsächlich die Perspektive des Terroristen. Das Bewusstsein davon schafft Angst. Insbesondere wenn sich die zu erwartenden Taten, und die geschehenen, gegen jeden richten können, und nicht nur gegen bestimmte Teile der Bevölkerung – Eliten, Staatsvertreter, eine bestimmte ethnische Gruppe. Nichts davon ist besser, aber scheinbar kalkulierbarer. 

Dabei ist die Wahrscheinlichkeit einen Terroranschlag zu erleben doch gar nicht so hoch?

Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Verkehrsunfall beispielsweise ums Leben zu kommen ist weiterhin um ein Vielfaches höher, als die von einem Terroranschlag ausgehende Gefahr. Das interessiert aber deshalb nicht so viele, weil die persönliche Risikoabschätzung sehr kompliziert ist. Die Menschen nehmen zwar Gefahren wahr, aber sie schätzen selten Risiken ein. Die Menschen fühlen sich beispielsweise im Auto sicher, weil sie meinen, sie könnten es vollends beherrschen. Dennoch ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland im Verhältnis zu anderen Gefahren sehr hoch. Im Gegensatz dazu lässt sich bei Terror zwar eine Wahrscheinlichkeit errechnen, in der Bekämpfung der Angst hilft es aber nicht zu sagen, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht persönlich betroffen sein wird, weil jedes Opfer als Einzelschicksal gesehen wird und die latente subjektive Angst automatisch bei jedem Einzelnen einen Bezug herstellt. Wir wissen aber auch, dass die Angst vor Terrorismus ebenso auch wieder zurückgeht wenn länger nichts passiert.

Warum bringen viele Menschen den Zuzug von Flüchtlingen mit steigender Terrorgefahr in Verbindung? 

Wir sehen, dass es eine diffuse Angst vor Fremdheit und die damit verbundenen Ängste schon immer gegeben hat. Einstmals war es die Angst vor einem Überfall einer anderen Siedlung, dann die Angst vor der nächsten Ortschaft, dem anderen Land, der Nation, Ethnie, Rasse usw. Die Geschichte ist reich an diesen auf Angst bauenden Exklusionsmechanismen. Das Schema funktioniert immer gleich und ist jahrhundertfach mit Dutzenden von Beispielen beschrieben – daher ist es so erschreckend, dass trotz Aufklärung, Reflektion und Postmoderne tiefsitzende Ängste immer wieder aufbrechen und als Mobilisierungsresource gegen einen „Anderen“ genutzt werden und dabei in Gewalttaten enden können. Wir hatten die Diskussion über Fremdheit in unserer Gesellschaft und Xenophobie auch schon oft in der jüngeren Vergangenheit – beispielsweise in den 199er Jahren nach Mölln, Solingen oder Lichtenhagen. Es ist also nicht so, dass uns die Problematik nun besonders unerwartet trifft. Und es ist nicht speziell der Islam, der uns fremd ist, sondern immer allgemein fremde Menschen und das Unbekannte, das wir nicht einschätzen können, das aber unsere Lebensweisen vermeintlich bedroht. Und das Unbekannte ist eine gesellschaftliche Konstruktion, die sich wandelt, dem Zeitgeist unterliegt, unterschiedlich genutzt und manipuliert wird.

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