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Können HIV (und andere Geschlechtskrankheiten) in Zukunft ausgerottet werden?

01. August 2019

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
Foto: Alexas_Fotos/Pixabay Array

Foto: Alexas_Fotos/Pixabay

 

Es ist einfacher geworden, die sexuell übertragbare HIV-Infektion zu erkennen, zu verhindern und die bisherige Lebensqualität, trotz Ansteckung, zu erhalten. Anfang 2019 haben Forschungsergebnisse Schlagzeilen gemacht, die eine Heilung von HIV verkündeten. Doch bedeutet dies, dass HIV in Zukunft ausgerottet werden kann? Die Abkürzung HIV steht für Humanes Immundefizienz-Virus. Dieses Virus dringt in die T-Helferzellen des menschlichen Immunsystems ein. Seine Erbinformation wird in die DNA der T-Helferzelle eingebaut, welche daraufhin neue HI-Viren produziert. Die Viren vermehren sich und die T-Helferzellen sterben ab. Auf diese Weise schwächt eine HIV-Infektion das Immunsystem des Patienten, welches andere Krankheitserreger nicht mehr ausreichend bekämpfen kann. In der Folge leiden die Patienten häufig an lebensbedrohlichen Krankheiten – was man zusammenfassend als AIDS bezeichnet.

Schon jetzt ist es möglich, Ansteckungen mit HIV vorzubeugen und eine Ausbreitung zu verhindern. Schutz vor Ansteckungen bietet neben Kondomen auch die Einnahme von vor- und nachbeugenden Medikamenten (Präexpositionsprophylaxe bzw. Postexpositionsprophylaxe). Um eine HIV-Ansteckung möglichst früh zu erkennen, ist, neben einem Arztbesuch, auch eine Kontrolle per HIV-Selbsttest möglich. Eine Früherkennung verhindert im Idealfall eine Übertragung der Viren auf weitere Personen. Sowohl der Selbsttest als auch eine konsequente Vermeidung der Ansteckung können die Verbreitung der Viruserkrankung reduzieren – und dadurch zur Ausrottung von HIV beitragen.

Wenn es bereits zu einer HIV-Infektion und -Integration gekommen ist, existiert inzwischen eine sehr effektive Methode das Virus zu unterdrücken: die antiretrovirale Therapie. Durch eine Kombination aus verschiedenen Wirkstoffen kann sie die Vermehrung des Virus an unterschiedlichen Stellen des Vermehrungszyklus hemmen. Zum Beispiel kann die fortlaufende Integration der viralen Erbinformation in die menschliche DNA verhindert werden. Solange die Medikation eingenommen wird, sind die Patienten nicht mehr ansteckend. Die Therapie ist jedoch nur wirksam, wenn die Patienten mehrere Wirkstoffe gleichzeitig, lebenslang und konsequent einnehmen. Die antiretrovirale Therapie erhöht die Lebenserwartung und -qualität der Betroffenen, aber sie kann HIV nicht heilen. Der Grund: Das HI-Virus hat sich in das Genom der Immunzellen des Patienten eingebaut und ist so vor einer vollständigen Eliminierung geschützt.

Die erste Heilung einer HIV-Infektion gelang 2008 beim sogenannten „Berliner Patienten“ an der Charité sowie zehn Jahre später in London beim „Londoner Patienten“. In beiden Fällen erhielten die Patienten aufgrund einer Krebserkrankung, eine Stammzellentransplantation. Das Besondere: Die ausgewählten Spender waren durch eine genetische Mutation resistent gegen HIV. Die HIV-resistenten Spenderzellen ersetzten so die HIV-infizierten Zellen der Patienten. Seitdem weisen die behandelten Patienten auch ohne antiretrovirale Therapie keine Anzeichen einer HIV-Infektion mehr auf. Da die Stammzellentransplantation jedoch eine extrem invasive und riskante Therapie ist, wird sie ausschließlich bei lebensgefährlichen Krankheiten, wie Krebs, eingesetzt. HIV mittels Stammzelltherapie zu heilen, wird also die Ausnahme bleiben.

Einen anderen Ansatz verfolgt die Genomchirurgie mit der CRISPR/Cas-Methode. Dabei wollen Forschende mit einer molekularen „Gen-Schere“ die DNA des HI-Virus im Genom der Immunzelle aufspüren und herausschneiden. Allerdings müsste diese Schere in jede einzelne infizierte Zelle gebracht werden – ein bislang ungelöstes Problem. CRISPR/Cas könnte jedoch als Grundlage dienen, um eine Heilung zu entwickeln. Dazu sind aber noch weitere Forschungsarbeiten nötig.

Am effizientesten im Kampf gegen HIV wäre ein Impfstoff. Die Forschungen dazu laufen bereits seit vielen Jahren. Einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, ist jedoch eine große Herausforderung, da sich das HI-Virus – ähnlich wie das Grippevirus – ständig verändert. Deshalb suchen Forschende unter anderem nach Bausteinen des Virus, die sich aufgrund ihrer Funktion kaum verändern und einen Angriffspunkt für den Impfstoff bieten. Eine Impfung wäre die wohl effektivste Möglichkeit, um weltweit alle Risikogruppen erreichen und versorgen zu können.

Doch wie ist die Lage bei anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen? Gegen Hepatitis C gibt es beispielsweise seit einigen Jahren eine sehr wirkungsvolle Therapie, die eine Heilung verspricht. Bei einer Hepatitis C-Infektion attackiert das Immunsystem die Leberzellen im Kampf gegen das Virus – eine Leberentzündung oder Hepatitis entsteht. Zur Behandlung nehmen die Betroffenen eine Kombination von Medikamenten ein, deren Wirkstoffe die Virenvermehrung in der Leber hemmen. Da sich Hepatitis C anders als HIV nicht ins Genom integriert, ist eine vollständige Heilung möglich. Die Kombination von Medikamenten variiert je nach Subtyp des Virus und bereits erlittenem Leberschaden. Aktuell ist die Therapie noch sehr kostspielig und nicht in allen Bereichen der Welt verfügbar. Sollten die Preise jedoch sinken, wird Hepatitis C vermutlich noch vor HIV verschwinden. Eine allgemeine Aussage zur Heilung sexuell übertragbarer Krankheiten ist nicht möglich, da diese sehr divers sind. Die Erreger können beispielsweise bakteriell, parasitär oder, wie bei HIV, viral sein und müssen deshalb individuell mit ganz unterschiedlichen Methoden und Strategien bekämpft werden.

Hinzu kommt, dass es bei der erfolgreichen Behandlung solcher Krankheiten nicht nur auf die technische und medizinische Umsetzung ankommt. Viele unterschiedliche Faktoren spielen eine Rolle, wie beispielsweise die Kosten und damit letztlich auch die Verfügbarkeit der Medikamente für große Teile der Weltbevölkerung. Mehr Aufklärungskampagnen, frei verfügbare oder zumindest günstige Medikamente sowie die kostenlose Behandlung von Patienten weltweit, wären weitere Maßnahmen um Geschlechtskrankheiten auszulöschen.

Die Antwort auf die Frage, ob HIV und andere Geschlechtskrankheiten in Zukunft ausgerottet werden können lautet also: Theoretisch ja, jedoch ist praktisch noch einiges zu tun und in naher Zukunft wird dies vermutlich nicht der Fall sein.

Bei der Beantwortung der Frage haben uns Prof. Dr. Frank Buchholz und Dr. med. Jakob Malin unterstützt. Prof. Dr. Frank Buchholz ist Professor für den Fachbereich Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und Leiter der translationalen Forschung am Universitätskrebszentrum Dresden und Dr. med. Jakob Malin ist Assistenzarzt der Klinik I für Innere Medizin und Klinische Infektiologie am Universitätsklinikum Köln (AöR).

Redaktion: Melanie Preu

 

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