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Warum kann es auf der Erde niemals kälter als minus 274 Grad Celsius werden?

29. April 2008

  • D Naturwissenschaften und Mathematik

Warum kann es auf der Erde niemals kälter als minus 274 Grad Celsius werden?

Weil das die natürliche Untergrenze für die Temperatur ist. Sie liegt genau genommen bei minus 273,15 Grad Celsius. Nirgendwo im Universum kann es kälter werden. Um das zu verstehen muss man zunächst wissen, was Temperatur ist.

Die Temperatur eines Objektes wird durch die ungeordnete Bewegung seiner Teilchen hervorgerufen. Je geringer die Bewegungsenergie der Teilchen, desto geringer ist die Temperatur des Objekts. Der absolute Nullpunkt ist theoretisch dann erreicht, wenn die Bewegungsenergie gleich null ist. In der Quantentheorie zeigt sich, dass es dann aber noch eine Nullpunktsenergie gibt, die temperaturunabhängig ist.

Der absolute Nullpunkt bildet gleichzeitig den Nullpunkt der Kelvin-Temperaturskala und entspricht minus 273,15 Grad Celsius. Praktisch wäre es zwar möglich, diesem absoluten Nullpunkt beliebig nahe zu kommen. Er ist jedoch nach dem dritten Hauptsatz der Thermodynamik aufgrund quantenphysikalischer Phänomene niemals exakt erreichbar. Ein Gesetz der Quantenphysik (die Heisenbergsche Unschärferelation) sagt nämlich, dass es grundsätzlich unmöglich ist, den Ort und die Geschwindigkeit eines Teilchens gleichzeitig exakt zu messen. Gerade das wäre aber möglich, wenn ein Teilchen überhaupt keine Bewegungsenergie mehr hätte.

Im Labor können Forscher heute Temperaturen von einem Nanokelvin, also nur einem Milliardstel Kelvin über dem absoluten Nullpunkt, erreichen. Bisher ist dies jedoch nur mit Proben gelungen, die aus wenigen Teilchen bestehen. Größere Proben, die sich für die praktische Anwendung eignen, kann man aber durchaus auf ein Millikelvin (ein Tausenstel Kelvin) abkühlen.

In der Grundlagenforschung verfolgt man mit den Kälterekorden das Ziel, die Eigenschaften der Materie bei diesen Temperaturen zu untersuchen. So leiten einige Materialien bei tiefen Temperaturen widerstandsfrei elektrischen Strom. Dieses Phänomen bezeichnen Physiker als Supraleitung. Neben der verlustfreien Leitung und Speicherung von elektrischer Energie ermöglichen extrem tiefe Temperaturen noch vielfältige weitere Anwendungen. In Flugzeugen oder Radioteleskopen werden beispielsweise Sensoren gekühlt, damit die ungeordnete Wärmebewegung der Teilchen nicht die Messung stört. Groß im Kommen sind auch elektrische Schaltungen mit einzelnen Elektronen (Einzelelektronik), die schneller sind und weniger Leistung verbrauchen als derzeitige Halbleiterschaltkreise. Eine solche Schaltung kann jedoch nur funktionieren, wenn die einzelnen Elektronen durch Abkühlung vor Stößen anderer Teilchen geschützt sind.

Die Abkühlung bis kurz über dem absoluten Nullpunkt ist ein mehrstufiger Prozess und erfolgt in so genannten Kryostaten. Zunächst kühlt man mit flüssigem Stickstoff die Probe auf 77 Kelvin. Mithilfe von flüssigem Helium lassen sich im nächsten Schritt vier Kelvin erreichen. Die Gase Helium und Stickstoff werden dabei jeweils mit einer Methode bis zu ihrer Verflüssigung abgekühlt, die nach dem Prinzip eines gewöhnlichen Kühlschranks (Kältemaschine mit Gaskreislaufkühlung) funktioniert. Bei einer anschließenden Entmischungskühlung  werden Helium-3 und Helium-4 – beide unterscheiden sich nur in der Anzahl ihrer neutralen Kernteilchen – voneinander getrennt, wobei die Lösungswärme entzogen wird. Die Temperatur der Probe sinkt dabei auf einige Millikelvin. Um schließlich bis in den Nanokelvin-Bereich vorzudringen, verändern die Physiker mithilfe von Magnetfeldern die magnetische Ordnung in der Probe. Das entzieht ihr weitere Energie (adiabatische Entmagnetisierung).

Verglichen mit den im Labor erzielten Temperaturen sind auch die kältesten Gegenden auf der Erde noch sehr warm. Die tiefste, jemals nachweislich gemessene Temperatur betrug minus 89,2 Grad Celsius – also 183,95 Kelvin. Gemessen wurde der Wert 1983 in der russischen Wostok-Station in der Antarktis. Dieser Ort wird als globaler Kältepol bezeichnet. 

Viel kälter kann es auf der Erde nicht werden, da die Sonne die Erde aufwärmt und zudem der Erdkern und leider auch unsere Zivilisation Wärme abstrahlt und derzeit sogar ein zivilisationsbedingter Treibhauseffekt zusätzlich die Erde aufheizt. Doch selbst an Orten im Weltall, die sich weit entfernt von Wärme spendenden Sternen befinden, kann es nicht kälter als drei Kelvin sein. So „warm“ ist die so genannte Hintergrundstrahlung, die ein Überrest des Urknalls darstellt und das gesamte Universum durchdringt.

Diese Frage wurde beantwortet von Prof. Dr. Paul Seidel, Leiter der Arbeitsgruppe Tieftemperaturphysik an der Universität Jena.