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Was sind Klarträume und wie wirken sie auf uns?

11. November 2020

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
Illustration eines schlafenden Mädchens Array

Superkräfte über Nacht – in Klarträumen wissen wir nicht nur, dass wir träumen, sondern können auch eigenständig handeln. Welche Auswirkungen hat das auf uns? Und lässt sich luzides Träumen erlernen? Foto: Cdd20/Pixabay

Stell dir vor, du kannst deine Träume beliebig steuern – in die Vergangenheit reisen, fliegen, scheinbar grenzenlose Abenteuer erleben. Klingt wie ein Szenario aus einem schlechten Hollywood-Film? Nicht unbedingt. Bei sogenannten „luziden Träumen“ oder „Klarträumen“ ist man sich im Schlaf bewusst, dass man träumt und kann das Geschehen mitunter kontrollieren.

„Manchmal kann ich auf den Traum Einfluss nehmen und ihn so verändern, wie ich es mir wünsche“, sagt Psychologin Ursula Voss. „Wenn im Traum etwas passiert, das mich ängstigt oder mir nicht gefällt, kann ich zum Beispiel Hilfe holen, mich gegen Angreifer wehren oder einfach nur die Sonne scheinen lassen.“

Spätestens seit Inception mit Leonardo DiCaprio begeistert uns die Idee vom bewussten Träumen. Das Phänomen kannten bereits die Menschen der Antike – so schrieb schon Aristoteles: „Oft nämlich sagt einem, wenn man schläft, etwas in seinem Bewusstsein: Was dir da erscheint, ist nur ein Traum.“ Seit dem 19. Jahrhundert erforschen Wissenschaftler*innen diesen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein, in Deutschland erstmals Paul Tholey, der den Begriff „Klarträumen“ prägte.

Typischerweise treten Klarträume während der REM-Schlafphase auf, der sogenannten „rapid-eye movement“-Phase, bei der sich unsere Augen bei geschlossenen Lidern rasch hin- und herbewegen. In dieser Schlafphase, einer von insgesamt fünf, träumen wir besonders intensiv. Unser Nervensystem läuft auf Hochtouren, während unsere Muskeln erschlaffen. Luzide Träume können jedoch auch aus dem Wachzustand heraus auftreten, etwa beim Meditieren. „Die wach-induzierten luziden Träume können besser kontrolliert werden als die REM-induzierten luziden Träume“, so Ursula Voss.

Die moderne Traumforschung untersucht unter anderem, was beim Klarträumen in uns vorgeht. Was passiert im Gehirn, wenn wir im Traum wissen, dass wir träumen und ihn bewusst steuern? „Ein luzider Traum ist typischerweise gekennzeichnet durch eine stärkere Aktivierung des Frontalkortex, der für logisches und abstraktes Denken sowie Entscheidungsfindung und Reflexion verantwortlich ist.“ Diese Gehirnregion ist während eines normalen Traumes nur schwach aktiv, weshalb wir üblicherweise nicht in seinen Verlauf eingreifen können. Darüber hinaus beobachtete Voss eine verstärkte Nutzung des Gamma-Frequenzbandes – einer der Kanäle, durch die unser Gehirn Informationen transportiert: „Dieses Frequenzband wird mit höheren Bewusstseinsprozessen in Verbindung gebracht, die es uns ermöglichen, über uns selbst nachzudenken, die dritte Personenperspektive einzunehmen und unsere Zukunft zu planen beziehungsweise die Vergangenheit zu verarbeiten.“

Neben der Erforschung der physiologischen Vorgängen stellt sich auch die Frage, wie Klarträume auf unsere Psyche wirken. Wer luzid träumt, greift schließlich aktiv in den natürlichen Schlafprozess ein. Klar ist, dass Klarträume positive Gefühle in uns erwecken können: Euphorie, Freiheit – gerade beim klassischen Traum vom Fliegen. „Luzides Träumen bedeutet, Kontrolle über das eigentlich Unkontrollierbare zu haben“, so die Psychologin Voss. Wer von Albträumen geplagt wird, kann seine nächtlichen „Ungeheuer“ durch Klarträume aktiv bezwingen. Anstatt ihnen hilflos ausgeliefert zu sein, spinnt man die Handlung einfach zum Happy End weiter.

Im Traum sortieren und verarbeiten wir bekanntlich, was wir tagtäglich erleben. Ist es nicht riskant, diesen Traumprozess derart zu manipulieren? Voss sieht keinen Grund zur Sorge, da Klarträume üblicherweise nur kurz andauern und die Verarbeitungsfunktion von Träumen deshalb nicht maßgeblich einschränken können. „Allerdings bin ich schon mehrmals von Menschen angeschrieben worden, die berichten, dass sie ohne Absicht ständig luzid träumen und sich am Morgen nicht erholt fühlen“, erzählt sie. „Hierbei handelt es sich aber um eine zu behandelnde Störung und nicht um eine absichtlich herbeigeführte Episode.“

Eine weitere gute Neuigkeit: Jede*r kann lernen, Träume bewusst zu kontrollieren. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Methoden, die sich in den Alltag integrieren lassen: Traumtagebuch führen, Autosuggestion vor dem Einschlafen (“Ich will mir bewusst werden, dass ich träume”) und “Realitätschecks”, bei denen wir uns im Laufe des Tages immer wieder fragen – träume ich? Sehe ich in meiner Umgebung etwas Widersprüchliches? Das mag absurd klingen, aber selbst realistische Träume weisen surreale Elemente auf, die wir durch erlernte Routine auch im Schlaf entlarven können.

Bei der Beantwortung der Frage hat uns Prof. Dr. Ursula Voss, Leiterin der Abteilung Psychiatrische Neurophysiologie in der VITOS Hochtaunus Klinik und Dozentin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main geholfen.

Redaktion: Daniela Unger

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