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Wie gelangen Gedanken aus dem Unterbewussten ins Bewusstsein?

06. April 2021

  • C Geistes- und Sozialwissenschaften
Eine verschwommene Frau hält eine Linse in die Kamera, so dass nur ihr Auge scharf zu sehen ist. Array

Unsere Aufmerksamkeit lenkt, was wir bewusst wahrnehmen. Foto: Mathieu Stern/Unsplash

Präsentation auf USB-Stick ziehen, Internetzugang checken, Protokollvorlage auf den Server laden, Hot Dog, Billy-Regal... Da ist es passiert: Hatte man eben noch konzentriert darüber nachgedacht, was für die Vorbereitung des Kundengesprächs am Nachmittag zu erledigen ist, schieben sich plötzlich die Gedanken an den Möbeleinkauf bei IKEA dazwischen, der für den Abend geplant ist. Wieso kommen ausgerechnet jetzt die Gedanken an den Möbeleinkauf hoch, wo es doch gerade wichtigeres gibt?

Die Antwort auf diese Frage kann ganz simpel sein: Vermutlich war es die dunkelblaue Serviette, die der Kollege am Morgen zusammen mit einem Stück Kuchen verteilt hat. Nachdem der letzte Happen im Mund verschwunden war, ist die gelbe Sonnenblume zum Vorschein gekommen, und die dunkelblau-gelbe Farbkombination hat unbewusst zur Assoziation mit dem Farblogo der Möbelhauskette geführt – und damit auch den Gedanken an die abendlichen Einkaufspläne aus dem Unterbewusstsein ins Bewusstsein gerufen.

Von Bewusstsein sprechen wir, wenn wir mentale Zustände und Prozesse aktiv, eben bewusst, erleben. Einfach gesagt: Wenn wir Gedanken, Erinnerungen oder Emotionen wahrnehmen. Im Beispiel oben sind dies die Überlegungen zur Vorbereitung des Kundengesprächs sowie das Nachdenken über den Einkauf bei IKEA.

Dem Bewusstsein steht das Unbewusste gegenüber, das sogenannte Unterbewusstsein. Dort liegen unter anderem Informationen, die wir in der Regel zwar nicht bewusst wahrnehmen, die aber in unser Bewusstsein kommen können – etwa Traumata, Kindheitserlebnisse, Fakten aus dem Geschichtsunterricht oder eben die Assoziation der dunkelblau-gelben Farbkombination mit der bekannten Möbelkette. Doch diese konkreten Informationen, die wir in Form von Gedanken im Bewusstsein wahrnehmen können, sind nur ein kleiner Teil des Unterbewusstseins, sozusagen „die Spitze des Eisberges“. Die meisten psychischen Prozesse laufen für uns unbewusst ab und gelangen nie in unser Bewusstsein. Dazu gehören beispielsweise die Prozesse im Gehirn, die uns eine rote Rose als rot wahrnehmen lassen oder Kinder eine Sprache erlernen lassen.

Wir haben schlicht nicht die Kapazität, viele psychische Inhalte gleichzeitig bewusst wahrzunehmen. Unser mentales System muss daher selektieren und sich auf wenige Inhalte konzentrieren, die wir dann beispielsweise als Gedanken oder Emotion bewusst erleben.

Was uns hilft, Gedanken im Bewusstsein zu halten oder sie schnell aus dem Unterbewusstsein abzurufen, bezeichnet die Psychologie als Konzept der Aufmerksamkeit. Wenn wir beispielsweise unsere Aufmerksamkeit auf die Frage lenken, was wir gestern zu Mittag gegessen haben, kramen wir aktiv in unserem Gedächtnis, bis wir uns an die Antwort erinnern. Die Aufmerksamkeit hilft uns, mentale Prozesse zielgerichtet zu steuern. In der Psychologie spricht man von willkürlicher Aufmerksamkeit.

Das Beispiel der dunkelblau-gelben Serviette zeigt, dass es aber auch eine automatische, unwillkürliche Aufmerksamkeit gibt. Zufällig auf einen bestimmten Reiz gestoßen, richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf diesen. Aus dem Unterbewusstsein gelangt dann ein Gedankeninhalt ins Bewusstsein, der mit diesem Reiz verknüpft ist.  

Grundsätzlich kann die Aufmerksamkeit durch äußere und innere Reize ausgelöst werden. Die Farben der Serviette sind ein äußerer Reiz, der aus dem Unterbewusstsein den Möbelkauf bei IKEA ins Bewusstsein holt. Ein innerer Reiz kann ein Gedanke sein, der durch eine Assoziation zu einem anderen führt: Vom Nachdenken über die Geschenkidee zum Geburtstag einer Freundin landet man gedanklich bei Weihnachten und Weihnachten lässt einen an Ostern denken. Auch physiologische Reize können Gedanken mental bewusst machen, etwa wenn wir ein Durst- oder Hungergefühl erleben.

Das bedeutet nun aber nicht, dass wir Reizen komplett ausgeliefert sind und unser Bewusstsein von der Fülle an Gedanken überfordert ist. Im Laufe unseres Lebens lernen wir, wichtige Reize von unwichtigen zu trennen und zu selektieren. Wenn wir als Kind beim Klingeln des Eismanns vielleicht innerhalb von zwei Sekunden an der Tür standen, um ein Eis zu kaufen, nehmen wir die Glocke als Erwachsene möglicherweise gar nicht mehr wahr. Wir haben gelernt, dass der Eismann für uns nicht so wichtig ist.

Natürlich haben wir tagtäglich auch Gedanken, die komplexer sind und deren Auftauchen im Bewusstsein weniger einfachen Erklärungen folgt wie das Beispiel mit der Serviette oder dem Eiswagen. Doch auch hier liegt letztlich das gleiche Prinzip zugrunde: Die Aufmerksamkeit wird durch einen willkürlichen oder unwillkürlichen Reiz gefesselt und befördert einen Gedankeninhalt damit aus dem Unterbewusstsein ins Bewusstsein.

Bei der Beantwortung dieser Frage hat uns Diplom-Psychologe Prof. Dr. Erich Schröger unterstützt. Er leitet die Arbeitsgruppe Kognitive und Biologische Psychologie am Institut für Psychologie an der Universität Leipzig.

Redaktion: Sabine Hoscislawski

 

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