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Wieso bekommen wir Zoom-Fatigue?

23. Februar 2021

  • C Geistes- und Sozialwissenschaften
Screenshot einer Videokonferenz mit zwei Personen Array

In Videokonferenzen fehlen unserem Gehirn wichtige soziale Signale. Foto: visuals/Unsplash

 

Müde, gereizt, frustriert – so beschreiben viele ihre Stimmung nach einem Arbeitstag mit Video-Call-Marathon. Zoom-Fatigue heißt das Schlagwort, benannt nach dem US-amerikanischen Anbieter eines Videokonferenz-Tools. Doch auch Skype, MS Teams oder Google Hangouts sind nicht weniger ermüdend.

Seit Beginn der Corona-Pandemie vor rund einem Jahr haben viele ihre Arbeit schlagartig ins Homeoffice verlegen müssen. Besprechungen finden nicht mehr analog, sondern digital statt. Zwar ermöglichen Video-Calls einen virtuellen Austausch, sie sind aber anstrengend für das menschliche Gehirn. Eine häufige Homeoffice-Begleiterscheinung ist daher Erschöpfung (englisch: fatigue). Auch andere Symptome wie Ungeduld, Reizbarkeit, Kopf- und Augenschmerzen werden beklagt. 

Fehlende nonverbale Kommunikation, Multitasking, zu enge Taktung – das Belastungsphänomen hat viele Gründe. In einer Videokonferenz fehlen dem Gehirn wichtige soziale Signale. Denn Menschen kommunizieren selbst dann, wenn sie nicht sprechen. Ein Schmunzeln verrät, dass eine Aussage nicht ganz ernst gemeint ist. Ein abgewandter Körper zeugt von Desinteresse, Nicken wirkt bestätigend. Das heißt nonverbale Kommunikation. 

Der Bildausschnitt in einer Videokonferenz zeigt unser Gegenüber jedoch meist nur von der Schulter aufwärts. Wir sehen zwar den Kopf und Oberkörper und können die Mimik entziffern – wenn das nicht eine schlechte Videoqualität oder wackelige Interverbindung erschweren. Gestik und Körpersprache gehen bei digitalen Meetings allerdings oft verloren.  

Auch das aktive Zuhören – ein bestätigendes „Hmm“ oder „Achso“ –  fehlt in virtuellen Meetings. Denn das eigene Mikrofon ist meist ausgeschaltet, wenn andere sprechen.

Zudem fehlt uns der direkte Blickkontakt. Schauen wir auf das Video unseres*r Gesprächspartner*in, sieht er*sie uns mit gesenktem Blick. Blicken wir direkt in die Kamera, wirkt es für unser Gegenüber zwar, als sähen wir uns direkt in die Augen. Wir selbst schauen aber nur in ein grün blinkendes Licht. Wir schauen aneinander vorbei.

Gerade in der Multiscreen-Ansicht fällt es uns schwer, das Verhalten von mehreren Menschen gleichzeitig zu dekodieren, denn wir verlieren den Fokus. In der Sprecher*innen-Ansicht kann man sich zwar auf das Gegenüber besser konzentrieren. Uns gehen aber gleichzeitig Reaktionen der anderen verloren, die wir in einem Präsenz-Meeting ganz nebenbei auch am Rande unseres Blickfeldes wahrnehmen würden.

Noch anstrengender wird das Gespräch, da wir uns ständig selbst sehen. Dann kontrollieren wir unsere Frisur und ob die Brille eventuell schief auf der Nase sitzt. Wir achten vermehrt auf uns, aber nicht mehr auf die anderen. Uns entgehen Reaktionen und nonverbale Signale. Das erschwert die Kommunikation und führt schnell zu Missverständnissen. Ruckelt dann auch noch die Verbindung und das Gesagte kommt verzögert bei uns an, wird es besonders ermüdend.

Hinzu kommt eine mangelnde Raumwahrnehmung. Normalerweise nehmen wir Stimmen räumlich wahr und erkennen, aus welcher Richtung sie kommen. In einer Videokonferenz gelangen sie meist über Kopfhörer direkt ins Ohr. Uns fehlt die Orientierung im Raum und die Wahrnehmung der Gruppe als Ganzes. 

Meetings werden zum gemeinsamen Austausch, zur Entscheidungsfindung und zum Problemlösen eingesetzt, aber sie erfüllen auch wichtige soziale Funktionen. Gerade die Phase vor einem Meeting wird häufig für Small Talk und informellen Austausch genutzt. Das kann dazu beitragen, dass eine entspannte Stimmung entsteht, die ins Meeting überschwappt. Introvertiertere Personen können sich für das Gespräch warmlaufen. Diese soziale prä-Meeting-Phase fehlt häufig in Videokonferenzen. Mit Start des Termins beginnt auch gleich der erste Tagesordnungspunkt. Das geht häufig zu Lasten der Motivation und Interaktion der Teilnehmenden.

Unser Gehirn sucht ständig nach sozialen Signalen unseres Gegenübers. Bei einer Unterhaltung vis-a-vis kann es Körpersprache und andere Hinweise erfassen und schüttet daraufhin Dopamin aus. Das macht uns wach und aufmerksam.

Während eines Video-Calls findet es diese Reize aber nicht und erhält verwirrende Informationen. Dennoch verarbeitet das Gehirn unablässig Informationen und versucht, sie zu interpretieren. Das fällt ihm schwerer, je weniger soziale Signale es erhält. Anders als bei normalen Interaktionen, muss es aus weniger Hinweisen die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. All das bedeutet Stress. Unser Gehirn schüttet weniger Dopamin aus, dafür aber Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin. Das kostet Energie und macht müde.

Dazu kommt, dass viele im Homeoffice unter einer Doppelbelastung und fehlender Privatsphäre leiden. Denn häufig arbeiten Familienmitglieder oder der*die Partner*in im selben Raum, Kinder müssen parallel betreut oder beim Homeschooling unterstützt werden. Diese parallelen Anforderungen kosten Kraft und Aufmerksamkeit und wir konzentrieren uns weniger auf das virtuelle Meeting.

Die Corona-Pandemie wird uns noch länger begleiten. Und damit auch Homeoffice und Videokonferenzen. Was also tun gegen Zoom-Fatigue? Multitasking vermeiden, ausreichend Pausen einplanen und ein bewusster Austausch am Anfang des Meetings können helfen. Eine feste Agenda kann das Meeting besser strukturieren und eine humorvolle Moderation den sozialen Aspekt stärker betonen. Mittlerweile gibt es auch Tools, die die Blickrichtung der Teilnehmenden korrigieren können oder einen „Together Mode“ anbieten, also eine Illusion schaffen, als säßen alle in einem Raum. Vielleicht kann das Zoom-Fatigue mildern, bis alle Teilnehmenden tatsächlich wieder in einem Raum sitzen können.

Bei der Beantwortung dieser Frage hat uns Meetingforscherin Prof. Dr. Nale Lehmann-Willenbrock unterstützt. Sie leitet den Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Hamburg. 

Redaktion: Sina Metz

 

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