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Wieso sprechen nicht alle Menschen die gleiche Sprache?

21. Juli 2021

  • C Geistes- und Sozialwissenschaften
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Aufgeschlagenes Wörterbuch (Foto: StockSnap/Pixabay)

„Un café con leche, por favor.“ – So kann es klingen, wenn man im Spanienurlaub einen Kaffee mit Milch in Landessprache bestellt. Mit Fremdsprachenkenntnissen kann man nicht nur im Urlaub glänzen. Aufgrund der zunehmenden globalen Vernetzung sind sie heute auch in zahlreichen Berufen von Vorteil. Dementsprechend gibt es viele Möglichkeiten, neue Sprachen zu erlernen und Fremdsprachenkenntnisse aufzufrischen. Aber warum brauchen wir überhaupt Sprachkurse, Tandempartner*innen und Sprachlern-Apps? Wieso gibt es verschiedene Sprachen? Und werden eines Tages alle Menschen Englisch sprechen?

Weltweit werden aktuell rund 7000 verschiedene Sprachen gesprochen. Grob gesagt zählt man dabei jede Sprache, die sich von anderen Sprachen so stark unterscheidet, dass Sprecher*innen zweier Sprachen sich gegenseitig nicht verstehen. Darüber, wie sich diese sprachliche Vielfalt historisch entwickelt hat, herrscht bis heute einiges an Unklarheit. Zum Beispiel ist nach wie vor offen, ob die heute gesprochenen Sprachen auf eine einzige gemeinsame Ursprache zurückgehen.

Zumindest mit den Methoden der historischen Sprachwissenschaft wird sich diese Frage wohl auch nie abschließend beantworten lassen. Zwar können Linguist*innen durch den Vergleich bestimmter Merkmale verschiedener Sprachen mit hoher Sicherheit Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Sprachen feststellen und gemeinsame Vorgängersprachen rekonstruieren, beispielsweise anhand des Wortschatzes oder der Laute der Sprachen. Belastbare Aussagen können so für die letzten circa 10 000 Jahre getroffen werden. Komplexe Sprachen, wie wir sie heute sprechen, gibt es vermutlich aber schon deutlich länger. 

Vielfältige Faktoren beeinflussen die sprachliche Vielfalt 

Klar ist, dass sich die heute gesprochenen Sprachen in den letzten 10 000 Jahren sehr unterschiedlich entwickelt haben. Das kann man zum Beispiel daran sehen, dass die sprachliche Vielfalt in verschiedenen Regionen ganz unterschiedlich ist. In Europa beispielsweise, sprechen rund 750 Millionen Einwohner*innen knapp 300 verschiedene Sprachen. Die rund 9 Millionen Einwohner*innen des pazifischen Inselstaats Papua-Neuguinea dagegen sprechen mehr als 800 verschiedene Sprachen. 

Sprache ist Ausdruck der Kultur und Identität der Sprecher*innen 

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung sprachlicher Vielfalt spielt, dass Sprache nicht nur ein Mittel zur Kommunikation ist, sondern auch eng mit der Kultur der Sprecher*innen verknüpft ist, ihre Identität formt und ausdrückt. So kann die Art und Weise, wie eine Person spricht, ähnlich wie ihr Kleidungsstil oder ihre Accessoires, der Außenwelt signalisieren, wer diese Person ist, welchen sozialen oder kulturellen Gruppen sie angehört und von welchen sie sich abgrenzen möchte. 

Das funktioniert unbewusst, etwa wenn ein*e Bayer*in aufgrund der Sprechweise als solche*r erkannt wird, die dialektale Färbung der Sprache aber selbst nicht bemerkt. Sprache kann andererseits auch bewusst eingesetzt werden, um die eigene Identität zu kommunizieren. Beispielsweise nutzen Jugendliche die Jugendsprache, um sich von anderen Gruppen abzugrenzen. Ein anderes Beispiel ist die Verwendung von Anglizismen im Deutschen, die oft dann zum Einsatz kommen, wenn man besonders cool, modern oder international wirken möchte.  

Solche Anglizismen weisen auch auf einen zweiten Faktor hin, der häufig die Veränderung und Ausdifferenzierung von Sprachen vorantreibt, nämlich das Aufeinandertreffen verschiedener Sprachen, der sogenannte Sprachkontakt. Wenn Sprecher*innen verschiedener Sprachen miteinander interagieren, etwa in Grenzregionen oder aufgrund von Migration, können Lehnwörter wie die oben genannten Anglizismen aus einer Sprache in eine andere Sprache übernommen werden. Auch andere Ebenen der beteiligten Sprachen, wie beispielsweise die Grammatik, können bei einem Sprachkontakt beeinflusst werden. Schließlich ist es möglich, dass eine Sprache komplett durch eine andere ersetzt wird oder dass sich eine Behelfssprache herausbildet, welche die Kommunikation der verschiedenen Sprecher*innengruppen ermöglicht. 

Viele weitere Faktoren können einen Einfluss darauf haben, wie viel sprachliche Vielfalt es gibt, etwa wie eine Region sozial und politisch geordnet ist, ob die Bevölkerung zum Beispiel in kleineren oder größeren Gruppen organisiert ist und wie stark diese Gruppen zusammenhalten. Letztendlich muss für jede Sprache und jede Region individuell untersucht werden, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass sich Sprache verändert hat oder sich früher einheitliche Sprachen in verschiedene Nachfolgersprachen aufgespaltet haben. 

Hälfte der heute gesprochenen Sprachen vom Aussterben bedroht

So sehr die sprachliche Vielfalt je nach Region variiert, so sehr unterscheidet sich auch die Anzahl der Sprecher*innen von Sprache zu Sprache. Auf der einen Seite gibt es extrem verbreitete Sprachen wie das Englische, das – zählt man sowohl die Muttersprachler*innen als auch jene, die Englisch als Fremdsprache sprechen – mehr als 1,3 Milliarden Sprecher*innen umfasst. Es ist die am meisten gesprochene Sprache der Welt. Andererseits ist knapp die Hälfte der heute gesprochenen Sprachen vom Aussterben bedroht. Da sie von immer weniger Sprecher*innen benutzt und erlernt werden, werden sie die nächste Jahrhundertwende vermutlich nicht überleben. 

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass irgendwann einmal alle Menschen gleich sprechen werden, denn die verschiedenen Sprachen werden immer auch Träger und Ausdruck der verschiedenen menschlichen Kulturen sein. Sprachkurse, Sprachreisen, Apps und andere Möglichkeiten, um Fremdsprachen zu erlernen, werden uns also wohl auch in Zukunft begleiten. 

Bei der Beantwortung dieser Frage hat uns Dr. Mary Walworth vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte unterstützt. Die Sprachwissenschaftlerin ist dort Leiterin des Forschungsprojekts „Comparative Oceanic Linguistics (CoOL)“, das die Geschichte der ozeanischen Sprachen untersucht. In diesem Rahmen erforscht sie unter anderem die Sprachenvielfalt in Vanuatu, einem südpazifischen Inselstaat, der mit fast 300 000 Einwohner*innen und rund 140 Sprachen die größte Sprachendichte der Welt besitzt. 

Redaktion: Elisabeth Tauscher

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