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Wird der Geschmackssinn vererbt?

21. Januar 2020

Ist der Geschmackssinn angeboren oder anerzogen? Foto: Nathan Hanna/Unsplash Array

Ist der Geschmackssinn angeboren oder anerzogen? Foto: Nathan Hanna/Unsplash

Oft nähern sich Menschen mit der Zeit den geschmacklichen Vorlieben und Essgewohnheiten ihrer Eltern an. Doch bedeutet das auch, dass Geschmack vererbt wird?

Die Frage, ob Gene oder die Erziehung ausschlaggebend für Vorlieben und Abneigungen gegenüber Lebensmitteln sind, ist nicht einfach zu beantworten. Denn in der Regel wird unser Speiseplan in den ersten Lebensjahren stark von denselben Personen bestimmt, die auch für unsere genetische Ausstattung verantwortlich sind: den Eltern. Wie so häufig, wenn es um die Frage „angeboren oder anerzogen?“ geht, lautet die Antwort: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Zunächst einmal: Wie kommen Geschmacksempfindungen überhaupt zustande? Im Mundraum – vorwiegend auf der Zunge – befinden sich Geschmacksrezeptoren, die auf chemische Reize reagieren. Menschen verfügen über unterschiedlich viele Geschmacksrezeptoren, und ihre Zahl nimmt im Laufe des Lebens ab. Dadurch verändert sich die Intensität des Geschmacks.

Die Empfindungen beim Essen, die wir in der Alltagssprache als „Geschmack“ bezeichnen, kommen jedoch erst durch ein Zusammenspiel mit dem Geruchssinn zustande. Was schlecht riecht, schmeckt uns auch nicht. Und wenn wir Schnupfen haben, schmeckt das Essen meistens langweilig.

Nun zu den Genen. Eine beliebte Methode in der Wissenschaft, um zwischen der Rolle von Genen und Umwelteinflüssen zu unterscheiden, sind Zwillingsstudien. Bei der Untersuchung des Geschmacksempfindens stehen nicht nur eineiige, sondern insbesondere auch zweieiige Zwillinge im Fokus – also Geschwister, die zum Teil über unterschiedliche Gene verfügen, aber am selben Essenstisch sitzen. Tatsächlich deuten manche Studien darauf hin, dass die Essgewohnheiten von eineiigen Zwillingen sich stärker ähneln als die von zweieiigen Zwillingen – ein Hinweis darauf, dass auch die Gene einen Einfluss auf den Geschmack der Kinder haben.

Allerdings ist unser Geschmackssinn nicht so spezifisch, dass man zum Beispiel sagen könnte, man hätte keine Geschmacksrezeptoren für Spinat geerbt. Nach aktueller Forschung können die Geschmacksknospen im Mund nur zwischen bitter, süß, salzig, sauer und herzhaft unterscheiden. Diese Kategorien geben nur grobe Koordinatenachsen für das Geschmackserlebnis vor. Dabei gibt es durchaus Menschen, die – genetisch bedingt – zum Beispiel Bitterstoffe mehr oder weniger stark, oder unter Umständen auch gar nicht, wahrnehmen.

Während die meisten Menschen über eine ähnliche genetische Ausstattung verfügen, die für die Ausbildung von Geschmacksrezeptoren zuständig ist, gibt es beim Geruchssinn größere Unterschiede. Eine Vielfalt an genetischen Kombinationsmöglichkeiten sorgt dafür, dass Menschen eine sehr viel individuellere Geruchswahrnehmung haben. Und auch hier gibt es Hinweise darauf, dass es bei der Ausstattung mit Geruchsrezeptoren Einflüsse durch Vererbung gibt.

Doch sowohl beim Geschmack als auch bei Gerüchen gilt: Etwas wahrnehmen können ist die eine Sache, die emotionale Bewertung dieser Wahrnehmung eine andere. Die Verknüpfung von Informationen mit Gefühlen findet erst im Laufe des Lebens im Gehirn statt. Hier spielt die Erziehung eine Rolle – etwa durch die Vorbildfunktion der Eltern. Auch kulturelle Einflüsse kommen zum Tragen. So haben die meisten Kinder eine Aversion gegen Bitterstoffe, die dafür sorgt, dass sie zum Beispiel keinen Kaffee, keine Oliven oder keinen Rosenkohl mögen. In der Regel nimmt diese Abneigung im Laufe des Lebens durch neue, positive Erfahrungen und Gewöhnung ab.

Wenn es um die Ausbildung von Essgewohnheiten geht, können Erziehende die Verantwortung also nicht so einfach auf die Gene schieben. Eltern können – auch da ist sich die Forschung weitestgehend einig – Einfluss darauf nehmen, was ihre Kinder mögen oder nicht. In Finnland wurden sogar Pädagogen ausgebildet, die für eine bessere Schulung des Geschmackssinns zuständig sind.

Bei der Beantwortung der Frage half uns Prof. Dr. Thomas Hummel, Leiter des Arbeitsbereichs „Riechen und Schmecken“ an der TU Dresden.

Redaktion: Michael Siegel

 

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