Logo Wissenschaft im Dialog Wissenschaft im Dialog

Zurück zu „Wie?So!“

Wird es nach dem Aussterben des Menschen wieder intelligentes Leben geben?

01. Juni 2022

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
Eine der vielen Darstellungen der „Road to Homo sapiens“, Foto: Alexas_Fotos, pixabay Array

Eine der vielen Darstellungen der „Road to Homo sapiens“, Foto: Alexas_Fotos, pixabay

Wird es nach dem Aussterben des Menschen wieder intelligentes Leben geben?

Wir Menschen verstehen uns selbst oft als die Krone der Schöpfung. Als intelligente Lebewesen haben wir komplexe Gesellschaftsformen errichtet, die auf allen Landmassen der Erde vertreten sind. Unser Fortbestehen haben wir durch immer neue Technologien und Kulturen gesichert. Doch eines Tages wird es den Menschen nicht mehr geben. 

Vielleicht besiegelt eine verheerende Pandemie unser Ende. Auch menschengemachte Bedrohungen könnten uns den Garaus machen: Die Klimakrise und ihre Folgeerscheinungen, Atomkriege, Bioterrorismus. Was genau unser Aussterben bedingen wird, lässt sich nicht vorhersagen. 

Je nachdem wie intakt unsere Apokalypse den Planeten zurücklässt, könnte es nach dem Menschen wieder vergleichbar intelligentes Leben geben. Einen unserer Leser interessiert genau das. Er fragt uns: Wird nach dem Aussterben des Menschen wieder intelligentes Leben auf der Erde entstehen? Hätten die heute lebenden Menschenaffen das Potential dazu, oder ist anzunehmen, dass auch aus anderen Tieren so etwas wieder hervor gehen würde? Um diese Fragen zu beantworten und zu verstehen, welche Bedeutung Intelligenz in der Evolution spielt lohnt es sich, zunächst die Geschichte des Homo sapiens nachzuzeichnen.

Möchte man die Evolution des Menschen verstehen, stößt man früher auf später unweigerlich auf die ikonische Darstellung „The Road to Homo sapiens“, auch bekannt als „The March of Progress“. Das knapp 60 Jahre alte Schaubild will verdeutlichen, wie der Mensch sich entwickelte und wer seine evolutionsgeschichtlichen Verwandten und Vorgänger sind. Doch es suggeriert auch, dass die Entwicklung des Menschen einer klaren Linie folgte: von links nach rechts, von gebeugt zu aufrecht, von primitiv zu intelligent, vom Affen zum Menschen. Aber ist die Evolution tatsächlich so verlaufen? Und wenn die letzte Etappe der „Road to Homo sapiens“ aus dem Bild verschwindet, ist dann die Entwicklung eines neuen „Menschen“ die einzig logische Fortführung der Reihe? Oder: Wird sich aus den heute lebenden Primaten einmal wieder intelligentes Leben entwickeln?

Der Stammbaum des Menschen ist keine Einbahnstraße

Ihren Ursprung fand die „Road to Homo sapiens“ im Band Early Man aus der Sachbuchreihe Life Nature Library. Der Künstler Rudolph Zallinger entwarf dafür ein Faltbild, das 15 Arten zeigte. Betrachtet man alle Illustrationen im Kontext wird klar, dass Zallinger keineswegs eine lineare Entwicklung vom Dryopithecus, der vor rund 12 Millionen Jahren lebte, zum 300.000 Jahre jungen Homo sapiens vermitteln wollte. Viel eher bilden die 15 gezeigten Arten einen Teil eines Familienstammbaums ab. So lebten einige der Arten zur selben Zeit. Manche sind nicht unsere direkten Urahnen, sondern könnten eher als Tanten oder Onkel bezeichnet werden, die sich neben unseren direkten Vorfahren entwickelten. Der Stammbaum des Menschen ist eben keine Einbahnstraße, sondern einer der weit verzweigten Stränge in der Taxonomie der Arten.

Der Mensch ist eines der vielen Produkte des ewigen Zyklus der Reproduktion, Mutation und Selektion, also des Vermehrens, Veränderns und Aussieben der Arten. Mutationen bringen zufällige Veränderungen im Genmaterial hervor. Ob diese sich durchsetzen, also an die nächste Generation weitergereicht werden, wird durch Selektion bestimmt. Nur wer lange genug seine Fressfeinde überlebt, erfolgreich Fortpflanzungspartner findet, oder den eigenen Nachwuchs am Leben hält, setzt sich gegen die Konkurrenz der Artgenossen und Artfremden durch. Blicken wir auf die heute lebenden Arten, sehen wir deshalb ausschließlich Gewinner. Sie alle hatten und haben evolutionären Erfolg, egal wie intelligent sie sind.

Seit Milliarden Jahren laufen diese evolutionären Prozesse, die zur heutigen biologischen Vielfalt geführt haben: Von Mus musculus (Hausmaus), über Thunnus thynnus (Blauflossen-Thunfisch) und Typhaeus typhoeus (Stierkäfer) bis hin zum Homo sapiens – ganz zu schweigen von den unzähligen Pflanzen, Pilzen und anderen Lebewesen. Jede dieser vielen Arten nimmt eine Nische im Ökosystem Erde ein. 

Eine solche ökologische Nische ist der Platz im Ökosystem, den eine Art einnimmt, dicht gedrängt an und oft überlappend mit anderen Arten. Um eine Nische zu bestimmen, sieht man sich an wo und wie eine Art lebt: In welchen Temperaturlagen sie sich aufhält, welche Nahrung sie zu sich nimmt, wie weit sie sich für Nahrung oder Paarung bewegt, oder auch welche Fressfeinde sie hat. Das besondere am Menschen ist, dass er es geschafft hat seine „Nische“ nach und nach auf fast die gesamte Landmasse der Erde auszuweiten. Durch soziale und technologische Entwicklungen gelang es ihm, die Grenzen seiner Vorfahren zu überwinden. Doch die „Nische“, die wir besetzen – so groß sie auch sein mag – ist nicht unser alleiniges Reich. Wenn der Mensch einmal ausstirbt (ohne dabei den Rest der Arten auszulöschen), bleibt keine klaffende Lücke über. Unser Lebensraum wird schlicht von den anderen Arten um uns herum nach und nach (zurück)erobert werden. 

Nicht nur der Mensch ist intelligent

Was dem Menschen erlaubt hat, sich auf allen Kontinenten auszubreiten, war vermutlich in erster Linie seine Intelligenz und damit verbunden seine Sprachfähigkeit, die wiederum das Sammeln und Weitergeben von Wissen ermöglicht hat. Nicht jede Generation Mensch muss das Rad, die Grundrechenarten oder den Viertaktmotor neu erfinden. Wir geben unser Wissen und unsere Erfahrungen ständig weiter und passen uns damit der sich wandelnden Welt an. Mit der Intelligenz sind wir aber nicht allein auf weiter Flur: Diverse Tierarten verhalten sich intelligent, nicht nur die, die uns am nächsten sind. Für intelligentes Verhalten gibt es eine ganze Reihe an Beispielen, die wir in Versuchsanordnungen im Labor, aber auch in freier Wildbahn beobachten können. Wenn die Vertreter einer Art ihre Probleme nicht nur durch Versuch und Irrtum zu lösen versuchen, sondern mögliche Konsequenzen absehen und entsprechend handeln, ist das ein Anzeichen von Intelligenz. Solche Problemlösekompetenz lässt sich unter anderem bei Hunden, Schweinen, Oktopussen oder Krähen nachweisen. Auch die Fähigkeit zu lernen, der Aufbau sozialer Strukturen oder die Nutzung von Werkzeugen können auf Intelligenz hindeuten. Auch im konkreten „Alltag“ der Arten können wir intelligentes Verhalten beobachten: Zum Beispiel bei der Routenplanung, wenn vorsorglich Schlaf- und Futterplätze gewählt werden. 

Intelligenz in all ihren Ausprägungen ist kein Selbstzweck, sondern hilft den Arten dabei, konkrete Aufgaben zu bewältigen oder sich ihrer Umwelt entsprechend zu verhalten. In einer dynamischen Umgebung voller Bedrohungen und sich wandelnder Begebenheiten kann Intelligenz den entscheidenden Vorteil schaffen, der das Überleben einer Art sichert. Für Arten hingegen, die in aus unserer Sicht kargen oder monotonen Umgebungen leben, ist Intelligenz schlicht nicht erstrebenswert. Wenn die Fressfeinde immer die gleichen sind, die Nahrungssuche in gewohnten Bahnen verläuft und der Fortpflanzung nichts im Weg steht, ist auch der intelligenteste Fisch seinem weniger bemittelten Artgenossen nicht überlegen. Im Gegenteil, Intelligenz ist auch mit enormen Kosten verbunden. Allein das Gehirn ist zum Beispiel für rund ein Fünftel des gesamten Energieverbrauchs des Menschen verantwortlich. Dabei gilt: Je mehr Nervenzellen, desto höher der Verbrauch. Und auch die Lernfähigkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Wer von seinen Artgenossen das Handwerk des Überlebens erst lernen muss, steht ohne sie blank da. Ein angeborenes, genetisch festgelegtes Programm, das das Überleben sichert, ist da autarker.

Dass der Mensch seinen Siegeszug antreten konnte, ist letztlich einer Reihe von Zufällen geschuldet: Mutationen zum passenden Zeitpunkt führten zu Individuen, die sich gegen ihre Artgenossen und Artfremde in ihrer Umwelt durchsetzen konnten. Prinzipiell ist diese Konstellation wiederholbar – aber sie ist keineswegs wahrscheinlicher als die Genese des Menschen selbst es war. 

Bei der Beantwortung der Frage hat uns Prof. Dr. Julia Fischer unterstützt. Sie leitet die Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum und ist Professorin für Primatenkognition an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie forscht zur Evolution von Kommunikation, Kognition und Sozialverhalten.

Redaktion: Paul Sutter

Frage an die Wissenschaft? Die Online-Redaktion von WiD sucht Experten, die sich mit diesem Thema auskennen, und beantwortet Ihre Frage.

Zum Frageformular
Zur Übersicht