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Woraus bestehen Gedanken?

29. November 2014

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
Computertomografie eines Schädels Array

Das Gehirn macht bei Erwachsenen Menschen zwar nur ca. 2% der Körpermasse aus, schlägt aber mit 20% beim Energiegrundumsatz zu Buche, bei Neugeborenen sogar 50%. Bild: Mikael Häggström/Wikimedia

Wir lernen Fahrrad fahren, Gitarre spielen und erinnern uns an Telefonnummern, Passwörter und an die erste große Liebe. Ständig machen wir neue Erfahrungen und lernen Neues hinzu. Aber was ist das, unser Gedächtnis? Und woraus bestehen eigentlich Gedanken, aus Materie oder aus ‚Nichts‘?  Bildet sich für neue Gedächtnisinhalte auch neue Hirnmasse oder strukturiert sich das Gehirn nur um?

Gedanken sind ein Produkt des Gehirns in der Wechselwirkung mit seiner Umgebung und sich selbst. Sie entstehen beim Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen genauso wie beim Nachdenken im stillen Kämmerlein und sogar beim Schlafen. Mit dem Thema Denken beschäftigen sich unter anderen Neurowissenschaftler. Für sie ist klar: Wenn wir denken, dann deshalb, weil Hirnprozesse ablaufen. Und Hirnprozesse, das sind komplizierte Interaktionen zwischen Nervenzellen im Gehirn. Besonders interessante und relevante Gedanken speichert unser Gehirn für die Zukunft – sie werden zu Erinnerungen.

Wie genau Gedanken entstehen und Erinnern funktioniert muss noch erforscht werden. Aber man weiß bereits, dass Verknüpfungen zwischen Nervenzellen gestärkt, geschwächt, gekappt und neu gebildet werden können. Nervenzellen können sich so an frühere Hirnaktivität ‚erinnern‘ und Gedächtnisinhalte einspeichern. So wie ein Muskel bei Betätigung mehr Masse aufbaut, baut das Gehirn beim Denken stärkere Verknüpfungen und manchmal sogar neue Nervenzellen auf. Schwerer wird es dadurch aber nicht. Stattdessen wird bestehende Gehirnmasse umstrukturiert, ganz ähnlich dem Speichern von Daten auf einem Datenträger, welcher dadurch nicht an Masse zulegt.

Es gibt keinen spezifischen Sitz des Gedächtnisses im Gehirn. Vielmehr sind viele verschiedene Bereiche der Hirnrinde, dem sogenannten Cortex, unter anderem für die Speicherung von Erinnerungen verantwortlich. Ein spezieller Ort im Gehirn ist für die Bildung von Gedächtnisinhalten jedoch besonders wichtig: der Hippocampus. Denn Patienten ohne funktionierenden Hippocampus können keine neuen Erinnerungen im Langzeitgedächtnis speichern. 

Aus Sicht der Neurowissenschaftler entstehen Gedanken also nicht aus dem Nichts, sondern aus messbaren Hirnprozessen, die wiederum durch Verknüpfungen und Signalwege von Nervenzellen entstehen. Neurophilosophen setzen sich kritisch mit der Annahme auseinander, dass sich Gedanken grundsätzlich von Materie unterscheiden. Damit wälzen sie das große alte Problem einer dualistischen Theorie des Geistes: Wie kann etwas Nichtmaterielles Materie beeinflussen oder gar neu schaffen? Ihre Antwort darauf lautet: Die Annahme ist irreführend, denn Gedanken sind ein ganz realer Teil unserer materiellen Welt, wie die Neurowissenschaften plausibel machen.

Bei der Beantwortung der Frage half Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter Professor für Psychiatrie mit Schwerpunkt psychiatrische Neurowissenschaft und Neurophilosophie an der Charité. Mehr Information zum Thema Gehirn und Gedächtnis gibt es unter: www.dasGehirn.info

Redaktion WiD: jw

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