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Wisskomm-Quartett

Folge 12

Folge 12 – Das „Defizit-Modell“ in der Wissenschaftskommunikation

Verbildlichung von Austausch in der Wissenschaftskommunikation
Illustration: Simon Esser/WiD

Mit „Defizit-Modell“ wird die Annahme bezeichnet, dass die öffentliche Akzeptanz und Unterstützung von Wissenschaft dann gering sind, wenn es in der Öffentlichkeit nicht genug Wissen aus der Wissenschaft und über die Wissenschaft gibt. Dann liege ein Mangel an Wissen und Verständnis vor. Daraus folge für die Wissenschaft(-skommunikation) die Aufgabe, dieses Defizit zu reduzieren; etwa durch möglichst gute Wissenschaftsvermittlung an die Öffentlichkeit.

Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem Wissen, Akzeptanz von Wissenschaft, Vertrauen in Wissenschaft und der Akzeptanz von praktischen Folgerungen aus wissenschaftlichem Wissen ist empirisch widerlegt. Ob Bürger*innen der Wissenschaft vertrauen, ob sie sich für wissenschaftliche Prozesse interessieren, und ob sie bereit sind, konkreten Handlungsempfehlungen zu folgen, die mit wissenschaftlichem Wissen begründet werden, hängt von vielen weiteren Bedingungen ab. Neben dem Wissen variiert dies auch für die einzelne Person abhängig vom jeweiligen Themenfeld.

In der Forschung sowie in der Wissenschaftskommunikation wird deshalb seit längerem vehement das „Defizit-Modell“ abgelehnt. Viele Beiträge in Forschung und Praxis beginnen mit einem Verweis darauf, dass das (eigene) Verhältnis der Wissenschaftskommunikator*innen zur Öffentlichkeit nicht auf einer Defizit-Annahme beruhe.

Die (fast) einhellige Ablehnung des „Defizit-Modells“ ist nicht nur darin begründet, dass die Idee eines linearen Zusammenhangs von Wissensdefizit und Akzeptanz oder Vertrauensdefizit unterkomplex ist. Oft geht es dabei auch um die Frage des Verhältnisses zwischen Wissenschaft(-skommunikator*innen) und Bürger*innen: Begegnet man sich auf Augenhöhe und in einem gleichberechtigten Austausch oder liefern die Wissenden den Unwissenden in paternalistischer Weise eine Weisheit? Die Ablehnung des „Defizit-Modells“ durch Wissenschaft(-skommunikator*innen) signalisiert, dass man gegenüber den Bürger*innen nicht eine belehrende Rolle einnehmen möchte.

Allerdings ist auch dieses Modell von Rollen und Erwartungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu unterkomplex: Wissenschaftliches Wissen ist vor allem dann für die Öffentlichkeit interessant, wenn es etwas Neues zum Weltverständnis und für Problemlösungen beiträgt; und nicht bereits Bekanntes oder als gültig Akzeptiertes verifiziert. Insofern enthält Wissenschaft(-skommunikation) auch ein belehrendes Element, das durch die epistemische Qualität wissenschaftlichen Wissens gerechtfertigt ist. Dennoch muss das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht paternalistisch sein. Worauf kommt es also an? Einen Aspekt der Antwort haben wir in dieser Folge ausführlich diskutiert:

In der Praxis der Wissenschaftskommunikation geht es oft um Problemstellungen, bei denen nicht nur wissenschaftliches Tatsachenwissen, sondern auch Werte/Ziele und gesellschaftliche Konfliktlagen involviert sind. Deshalb geht es in der Diskussion um das „Defizit-Modell“ – oft nur implizit – auch um Fragen nach dem Umgang mit Werten/Zielen und gesellschaftlichen Konfliktlagen in der Wissenschaftskommunikation. In dieser Folge wird dies aber ganz explizit mit der Debatte um das „Defizit-Modell“ verknüpft.

 

Es diskutieren: Rainer Bromme, Elisabeth Hoffmann, Julia Serong und Rebecca Winkels

zum Podcast

Quellen

Literatur, die im Beitrag angesprochen wird:

Krause, N. M., Scheufele, D. A., Freiling, I., & Brossard, D. (2021). The Trust Fallacy: Scientists' search for public pathologies is unhealthy, unhelpful, and ultimately unscientific. American Scientist, 109, 226+. Retrieved from https://link.gale.com/apps/doc/A669437356/AONE?u=anon~c698f8d3&sid=googleScholar&xid=8f1c6b39

Douglas, H. (2021). Lecture 3. Science communication: Beyond the deficit model. In H. Douglas (Ed.), The Rightful Place of Science: Science, Values, and Democracy: The 2016 Descartes Lectures. (pp. 121-151). Tempe, AZ: Consortium for Science, Policy & Outcomes.

In dieser Folge wird auch 'Bogner' erwähnt. Dies bezieht sich auf die Folge 9 des Wisskomm-Quartetts, in der wir gesprochen haben über: Bogner, A. (2021). Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Ditzingen: Reclam.

 

Weitere Literaturempfehlungen zum „Defizit Modell“:

Akin, H., & Scheufele, D. A. (2017). Overview of the Science of Science Communication. In K. E. Jamieson, D. M. Kahan, & D. A. Scheufele (Eds.), The Oxford handbook of the science of science communication (pp. 25-33). New York: Oxford University Press.

Simis, M. J., Madden, H., Cacciatore, M. A., & Yeo, S. K. (2016). The lure of rationality: Why does the deficit model persist in science communication? Public Understanding of Science, 25(4), 400-414. doi:10.1177/0963662516629749

Sturgis, P., & Allum, N. (2004). Science in society: re-evaluating the deficit model of public attitudes. Public Understanding of Science, 13(1), 55-74. doi:10.1177/0963662504042690

Suldovsky, B. (2016). In science communication, why does the idea of the public deficit always return? Exploring key influences. Public Understanding of Science, 25(4), 415-426. doi:10.1177/0963662516629750

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