Logo Wissenschaft im Dialog Wissenschaft im Dialog

Zurück zu „Wie?So!“

Wie verändert sich unser Gehirn auf dem Mars?

04. Oktober 2023

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
  • E Technik
Blick auf eine Düne auf dem Mars. Array

Bild: NASA/JPL-Caltech/MSSS

Es ist der alte Menschheitstraum: Zu fernen Welten reisen, sie erkunden, sie besiedeln. So plant die amerikanische Raumfahrtagentur NASA, in den kommenden Jahren eine dauerhafte Mondstation zu errichten. Und in Zukunft soll es noch weiter hinausgehen: Zum Mars, unserem roten Nachbarplaneten.

Nach einem rund neunmonatigen Flug wird die Astronaut*innen dort eine Umgebung erwarten, die völlig anders ist, als alles, was wir kennen. Lebensfeindlich, reizarm und karg präsentiert sich der Wüstenplanet seinen Gästen. Alles sieht ähnlich aus, es gibt kaum Stimuli, kaum Orientierungspunkte. Was macht das mit unserem Gehirn? 

Mars-Forschung in der Antarktis

Im Rahmen der Antarktis-Studie haben Forschende der Charité-Universitätsmedizin Berlin, des Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven, des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und des Max Planck Instituts für Bildungsforschung Berlin neun Wissenschaftler*innen untersucht, die 14 Monate auf der Neumayer-Station in der Antarktis verbracht haben. Ein Aufenthalt auf der Forschungsstation kann als Analog zu einem Aufenthalt auf dem Mars betrachtet werden: Am Südpol ist die Umgebung ähnlich karg, weit und breit gibt es nichts als Eis und Schnee. Und auch sozial ist man dort ziemlich isoliert. 

Für die Studie haben die Proband*innen vor und nach ihrem Aufenthalt in der Antarktis an physiologischen und psychologischen Tests teilgenommen. Außerdem wurde ihr Gehirn im MRT gescannt. Die dabei gesammelten Beobachtungen verglichen die Forschenden mit Daten aus einer Kontrollgruppe, also Personen mit ähnlichen demographischen und biologischen Voraussetzungen, die nicht in der Antarktis waren. So sollte geprüft werden, ob mögliche Veränderungen tatsächlich auf den Antarktis-Aufenthalt zurückzuführen sind.

Das Ergebnis: Der Hippocampus, genauer gesagt die Substruktur des Gyrus dentatus, – also der Bereich des Gehirns, der für das Erinnern, aber auch für die räumliche Navigation und Informationsverarbeitung zuständig ist – ist bei den Proband*innen während ihres Antarktis-Aufenthalts um mehr als 7 Prozent geschrumpft. Die Veränderungen unterschieden sich signifikant von Veränderungen in der Kontrollgruppe. 

Hintergrund ist, dass unser Gehirn sehr „plastisch“ ist. Das heißt, es ist formbar und anpassungsfähig: Wenn wir neue Erfahrungen machen, etwas lernen oder neuen Reizen begegnen, verändert sich unser Gehirn. Neue Verbindungen zwischen Nervenzellen werden geschaffen. Das funktioniert aber auch andersherum: Fehlen die Reize, können die Verbindungen im Gehirn auch wieder gelöst werden. Das führt zu einer Reduzierung des Gehirnvolumens.

Eine Forschungsstation in der Antarktis, fotografiert bei Sonnenaufgang.
Die deutsche Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III.
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann CC-BY 4.0

Fehlende Reize 

In einer extremen Umgebung wie in der Antarktis oder auf dem Mars sind bestimmte sensorische Reize – was wir sehen, hören, schmecken, fühlen – kaum oder nur begrenzt gegeben. Uns fehlen unter anderem die Anhaltspunkte, um auszumachen: Wo bin ich jetzt? Und wie kann ich mir den Weg von A nach B merken? Hinzu kommt die Isolation. Das soziale Umfeld ist auf wenige Kolleg*innen begrenzt. Interaktionen mit vielen verschiedenen Menschen, wie sie auf der Erde zum Alltag gehören, fallen weg. 

Der Hippocampus wird also weniger gefordert. Dies führt zu einer Rückbildung der Synapsen in den entsprechenden Hirnarealen. Die Folge: Unser Gehirn schrumpft. Im Rahmen der Antarktis-Studie konnten die Forschenden dafür auch eine biologische Erklärung ausmachen: Die Konzentration des Wachstumsfaktors BDNF (Brain-derived neurotrophic factor) im Blut der Teilnehmenden war gesunken. Dabei handelt es sich um ein Protein, das unser Gehirn zur Bildung neuer Synapsen benötigt. 

Synaptische Verbindungen, die regelmäßig genutzt werden, bringen bio-chemische Prozesse ins Laufen, die dann den BDNF bilden. Fehlen die Reize, laufen diese Prozesse nicht an. Das Ganze lässt sich etwa mit Straßen vergleichen: Sind diese viel befahren, werden sie ausgebaut, während wenig genutzte Straßen auch nicht erweitert werden. Im Falle der Arktis-Reisenden bedeutete das: Es wurden keine neuen Verbindungen aufgebaut und bestehende Verbindungen teilweise zurückgebildet.

Das zeigte sich auch in den Tests, die die Forschenden mit den Teilnehmer*innen durchführten: Nach 14 Monaten in der Antarktis schnitten die Proband*innen in den Aufgaben zur räumlichen Orientierung deutlich schlechter ab als in den Vorab-Untersuchungen. Ähnlich könnte es Mars-Reisenden ergehen: In der kargen Umgebung des Roten Planeten würde ihr Gehirn schrumpfen, und sie könnten sich schlechter orientieren und durch Umgebungen navigieren. 

Auch das Gehirn muss trainiert werden

Auf einen Flug zum Mars muss deshalb aber trotzdem niemand verzichten, denn das Gehirn kann die verlorenen Verbindungen wieder aufbauen. Dies dürfte allerdings etwas dauern. Im Falle der zurückgekehrten Antarktis-Forscher*innen, hatte sich die BDNF-Konzentration 1,5 Monate nach der Expedition noch nicht wieder erholt. 

Besser wäre es ohnehin, den Abbau der Fähigkeiten von Anfang an zu vorzubeugen. In der Raumfahrt lag der Fokus lange Zeit auf dem Erhalt der physischen Eigenschaften. So müssen Astronaut*innen auf der ISS etwa einen strengen Trainingsplan befolgen, um Muskelabbau in der Schwerelosigkeit vorzubeugen. Allerdings wird schnell übersehen, dass auch das Gehirn trainiert werden muss. Die sensorischen Reize, die in einer kargen Umgebung fehlen, könnten den Menschen etwa in Form von Übungen wieder zugeführt werden. Denkbar wäre, dass Astronaut*innen regelmäßig Trainings zur räumlichen Navigation machen, etwa mithilfe von Virtual Reality-Anwendungen.

Nun liegt der Aufbruch der Menschheit zum Mars noch in weiter Ferne. Aus den Erkenntnissen der Umweltneurowissenschaften können wir aber auch für unseren Alltag viel mitnehmen. Das Gehirn braucht vielfältige Reize. Es ist also wichtig, Abwechslung zu schaffen. Das haben viele Menschen etwa im Corona-Lockdown gemerkt, als ihnen zuhause „die Decke auf den Kopf gefallen“ ist. Eine Umgebung, die immer gleichbleibt, erscheint einem zwangsläufig irgendwann karg. Ein Tapetenwechsel ist immer gut fürs Gehirn, so lautet die Empfehlung aus den Umweltneurowissenschaften. Gute Gründe also, mal wieder einen Städtetrip oder einen Wochenendausflug ins Grüne zu planen. 

 

 

Bei der Beantwortung dieser Frage hat uns Emil Stobbe geholfen. Er ist Doktorand der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Dort  untersucht er unter anderem, wie die Umwelt unsere Wahrnehmung und Fähigkeiten beeinflusst. Gemeinsam mit der Lise-Meitner-Gruppe hat Stobbe ein Exponat für die Ausstellung der MS Wissenschaft im Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum entwickelt.

Redaktion: Alena Weil