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20 Jahre WiD - Ein Gespräch mit Antje Boetius und Joachim Treusch

16. April 2020

  • Erstellt von Hannes Schlender
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Der Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit steht heute wie vor 20 Jahren im Zentrum der Aktivitäten von Wissenschaft im Dialog. Foto: Gesine Born/WiD

WiD feiert Geburtstag. Vor 20 Jahren, am 12. Mai 2000, unterzeichneten Vertreter von acht Organisationen die Urkunde zur Gründung der Wissenschaft im Dialog gGmbH. Zum Jubiläum wollen wir im Gespräch mit Partnern und Wegbegleitern zurück aber auch nach vorne blicken und fragen: Wie haben sich Wissenschaft im Dialog und die Wissenschaftskommunikation weiterentwickelt, welche Themen waren damals wichtig und welche werden heute und in Zukunft im Mittelpunkt stehen. In unserem ersten Beitrag spricht Hannes Schlender mit Joachim Treusch und Antje Boetius.

Das Wissenschaftssystem braucht ein gemeinsames Engagement für den Dialog

Mit welchem Anspruch ist WiD im Jahr 2000 gegründet worden? Hat die Organisation ihren Auftrag erfüllt? Und vor welchen Herausforderungen steht sie heute? Ein Gespräch mit Joachim Treusch, dem ersten Vorsitzenden des WiD-Lenkungsausschusses, und Antje Boetius, der derzeitigen Vorsitzenden. 

Frau Boetius, wann sind Sie das erste Mal mit Wissenschaft im Dialog in Kontakt gekommen?

Boetius: Das erste Mal, das war im Zusammenhang mit dem Euroscience Open Forum in München, beim Wissenschaftssommer 2006. Damals war ich zu einem Vortrag eingeladen. Und dann natürlich über die vielen Aktivitäten von Gerold Wefer, meinem Lenkungsausschuss-Vorgänger. Da lernte ich verschiedene Formate kennen, zum Beispiel Wissenschaft kontrovers oder die MS Wissenschaft.

2013 kam dann der Anruf, ob ich mir vorstellen könnte, Lenkungsausschuss-Vorsitzende bei WiD zu werden. Zu der Zeit habe ich mich zunehmend mit der Rolle der Wissenschaft in Wissenstransfer und gesellschaftlichem Dialog beschäftigt. Ich war deshalb sehr neugierig auf diese neue Aufgabe. Mich hat besonders gereizt, mit den Wissenschaftskommunikatoren aller Forschungsorganisationen, von Stiftungen und Akademien regelmäßig zusammen zu kommen, um Pläne schmieden zu können.

Herr Treusch, Sie waren die treibende Kraft bei der Gründung von WiD im Jahr 2000 und erster Lenkungsausschussvorsitzender. Was waren damals die Herausforderungen?

Treusch: Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatte uns 1999 vor der Unterzeichnung des PUSH-Memorandums vier Millionen D-Mark für Wissenschaftskommunikation 'zuversichtlich in Aussicht gestellt'. Um dieses Geld für die Wissenschaftskommunikation einsetzen zu können, ist dann im Mai 2000 Wissenschaft im Dialog als gemeinnützige GmbH gegründet worden.

Alles ging damals sehr schnell und war ein bisschen ein Ritt über den Bodensee. Aber letztlich lief alles gut, weil sich alle gegenseitig vertraut haben und auch vertrauen konnten.

Ich erinnere mich noch lebhaft an die Situation, als wir kurz vor dem Ende meiner Amtszeit 2006 unseren Rechenschaftsbericht bei der Allianz der Wissenschaftsorganisationen vorstellen mussten. Wir hatten einen Termin von einer Stunde bekommen. Die Zeit schrumpfte zusehends, weil es vorab Verzögerungen gegeben hatte und anschließend noch ein Termin mit der Bundeskanzlerin anstand.

Ekkehard Winter, mein Stellvertreter bei WiD, und ich hatten so etwas geahnt. Wir kamen in den Sitzungsraum, und alle bedauerten die Kürze der verbleibenden Zeit. 'Das macht gar nichts', meinte ich: 'Wir haben das Protokoll schon mal vorbereitet. Das lese ich Ihnen jetzt einfach vor, Sie sagen mir Ihre Änderungswünsche, und dann sind wir schon fertig.' Alle, insbesondere auch der damalige Sprecher der Allianz Hubert Markl nahmen es mit Humor, und nach einer Viertelstunde war das Protokoll ohne Änderung akzeptiert. Also, das Vertrauen war auf allen Seiten enorm.

Wir müssen Antworten finden auf die Fragen, wie der Dialog zwischen Gesellschaft und Wissenschaft gelingt: Prof. Dr. Antje Boetius. Sie ist seit 2015 Vorsitzende des Lenkungsausschusses von WiD. Foto: AWI/Kerstin Rolfes

Frau Boetius: Spüren Sie dieses Vertrauen in WiD immer noch? Ist das Entgegenkommen immer noch so groß?

Boetius: Bis heute ist WiD die einzige gemeinsam finanzierte Organisation aller Wissenschaftsorganisationen. Das zeugt von langjährigem Engagement und Entgegenkommen aller Beteiligten. Dabei geht es um eine grundsätzliche Aufgabe des Wissenschaftssystems, die angesichts der Herausforderungen und Krisen, durch die wir gehen, wichtiger ist denn je. Wir müssen Antworten finden auf die Fragen, wie der Dialog zwischen Gesellschaft und Wissenschaft gelingt, was beide von einem Dialog haben, wie eine hohe Qualität und Reichweite in der Wissenschaftskommunikation gesichert wird.

Was da wichtig ist, ist die konstruktive Auseinandersetzung mit einer Vielfalt von Strategien, Methoden, Kanälen und Zielen. Dabei wird ordentlich diskutiert und auch mal gestritten, aber auch viel gelacht. Die führenden Köpfe bei der Wissenschaftskommunikation haben einen sehr hohen Anspruch.

Wie haben Sie die Stimmung bei der WiD-Gründung in Erinnerung, Herr Treusch?

Treusch: Das war eine enorme Aufbruchsstimmung. Es kamen bei WiD wie auch bei den Gesellschaftern aus der Allianz eine Menge Leute zusammen, die vor Elan sprühten und unglaublich viele gute Ideen hatten. Anders wäre ja auch das Feuerwerk an Veranstaltungen und Aktionen gar nicht machbar gewesen, mit dem WiD dann in die Öffentlichkeit trat.

Waren Sie damals schon eine Wissenschaftlerin, die auch begeistert kommuniziert?

Boetius: Mir hat Wissenschaftskommunikation immer schon Freude gemacht. In meinem Feld der Tiefseeforschung geht es ja darum, Bilder völlig unbekannter Lebensräume und Lebensformen begreifbar zu machen, den Menschen auch ferne Regionen des Ozeans und die Notwendigkeit von Entdeckungen nahe zu bringen.

Als ich dann das erste Mal mit der MS Wissenschaft in Kontakt kam, und der tollen Idee, selbstgemachte Exponate von Forschern im Bauch eines Binnenschiffs durch das Land zu schicken und so für eine enorme Reichweite neuer Forschungsansätze zu sorgen, da war ich begeistert. Und ich mag auch sehr gerne das Forum Wissenschaftskommunikation, wo sich praktisch alle Kommunikatoren treffen und ihre Experimente und Erkenntnisse miteinander teilen.

Treusch: Es freut mich, dass sich Frau Boetius schon sehr lange für Wissenschaftskommunikation einsetzt. Wissen Sie, Ende der 1990er Jahre war es nämlich unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch keine Selbstverständlichkeit, mit den eigenen Forschungsthemen an die Öffentlichkeit zu gehen. Wer das gemacht hat, sah sich unter Umständen dem Verdacht ausgesetzt, die Forschung an den Nagel gehängt zu haben.

Das ist heute zum Glück ganz anders. Und ich glaube, PUSH und WiD haben einen guten Beitrag dazu geleistet, dass sich diese Einstellung geändert hat.

Frau Boetius, es heißt ja nun „Wissenschaft im Dialog“. Sind Sie der Meinung, dass die Wissenschaft, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt wirklich in einem Dialog mit der Öffentlichkeit stehen?

Boetius: An sich ist der Dialog zur wechselseitigen Vermittlung von Erkenntnis immer Teil von Wissenschaft, schon Sokrates schrieb darüber. Die Wissenschaft ist ja schon dadurch ein offenes System, dass sie sich selbst stets aus der breiten Bevölkerung heraus durch Hochschullehre und Ausbildung erneuert und ohnehin auch nur ein ganz kleiner Teil der Absolventen von Hochschulen in der Forschung bleibt. Und auch dieser kleine Teil steht im Austausch – Wissenschaftler werden durch den gesellschaftlichen Kontext geprägt, gesellschaftliche Herausforderungen beeinflussen die Wissenschaft enorm und vice versa.

Was der Wissenschaft oft mit dem berühmten `Elfenbeinturm´-Bild vorgeworfen wird, ist die kreative Abgeschiedenheit als Teil wissenschaftlicher Methode, sowie der Fachjargon, der schwer außerhalb einer spezifischen Forschungsgemeinde zu durchbrechen ist. Es geht heute darum, dass wir bei der gigantischen Produktion von wissenschaftlichem Wissen, das der Gesellschaft dienen kann, beiderseitige Übersetzung brauchen. In der enorm beschleunigten High Tech Welt ist zudem eine Beteiligung der Öffentlichkeit an ethischen Fragen und an Risikoabschätzungen nötig. Und das über die Vielfalt der Kanäle und Empfänger, um Reichweite zu sichern.

Ich mache mir gar nicht so sehr Sorgen wegen des Dialogs. Was mir Sorgen macht, ist die neue Qualität der Lüge: Prof. Dr. Joachim Treusch. Er war bis 2006 Vorsitzender des WiD-Lenkungsausschusses. Das Foto zeigt ihn (3.v.r.) bei der Amtsübergabe an Prof. Dr. Gerold Wefer (r.). Foto: D. Ausserhofer/WiD

Treusch: In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Kommunikationsverhalten fundamental verändert. Als wir mit WiD, mit Wissenschaftssommern oder der MS Wissenschaft angefangen haben, gab es keine Smartphones, kein Google und kein Twitter. Das waren die letzten Jahre, in denen man mit den Leuten reden oder Vorträge halten konnte, ohne dass alle auf das Handy geschaut haben. Also, damals war noch eine direkte Kommunikation und eine unmittelbare Ansprache möglich. Ich denke, an die veränderte Situation haben wir uns noch nicht vollständig angepasst.

Frau Boetius, was denken Sie, was WiD da machen sollte?

Boetius: Vor allem Experimente mit Formaten und Zielgruppen, sowie auch Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Strategiebildung. Alle Wissenschaftsorganisationen haben eine Vielfalt von Angeboten geschaffen. Aber da sich Kommunikation sowohl in Technik wie Inhalten und Zielen so schnell ändert und sich auch die sozialen Gruppen und ihre Interessen ändern, geht es darum, dass wir in WiD Mehrwert für alle schaffen.

Treusch: Ich mache mir gar nicht so sehr Sorgen wegen des Dialogs. Was mir Sorgen macht, ist die neue Qualität der Lüge. Wir sehen das ja täglich bei wichtigen und mächtigen Staatschefs: Wenn die nur oft genug immer wieder dieselbe Lüge wiederholen, dann wird die Lüge irgendwann in den Köpfen der Menschen zur Wahrheit. Dem müssen wir entgegentreten.

Wie kann das geschehen?

Treusch: Wir müssen die jungen Menschen ansprechen. Ich selbst halte regelmäßig Vorträge in Schulen. Wir müssen Schülerinnen und Schülern Freude an der Wissenschaft und Lust auf Neugier vermitteln. Das gelingt am besten im direkten Gespräch. Meine Erfahrung ist, dass die jungen Menschen dann merken: Der persönliche Austausch ist viel interessanter als die Beschäftigung mit den elektronischen Medien. Und dementsprechend kann man dann auch eine Botschaft mitgeben, die hängen bleibt.

Ist die Reichweite nicht viel zu gering?

Treusch: Das ist ein Argument, das ich oft höre. Ich frage dann immer zurück, wie mein Gesprächspartner zu seiner Berufswahl gekommen ist. Und wissen Sie, bei vielen, wenn nicht den meisten Menschen, ist es ein einziges bestimmendes Erlebnis oder Gespräch. Dieses eine Erlebnis oder dieses eine Gespräch müssen wir den jungen Menschen bieten, damit sie sich für Wissenschaft begeistern.

Dafür hat WiD hervorragende Formate. Auf der MS Wissenschaft habe ich selbst erlebt, wie beeindruckt junge Menschen aus der Ausstellung herausgekommen sind. Wer weiß – vielleicht war ja die Bundeskanzlerin von 2050 dabei?

Wie muss man Ihrer Erfahrung nach die Menschen ansprechen, um sie für die Wissenschaft zu gewinnen, Frau Boetius?

Boetius: Für mich sind die Grundelemente Begeisterung, Integrität und Empathie. Soll bedeuten: Man sollte etwas über das zu sagen haben, für das man steht oder gar brennt. Es sollte echt sein und nicht übergestülpt oder ausgeborgt. Und man muss sich in seine Dialogpartner eindenken können, ihre Fragen und ihren Wissenskontext annehmen, sie ernst nehmen. Humor geht immer, Haltung ist wichtig.

Was wünschen Sie, Frau Boetius, als aktuelle Lenkungsausschussvorsitzende, WiD zum 20. Geburtstag?

Boetius: Ich wünschte, die beteiligten Förderer und Wissenschaftsorganisationen könnten sich auf eine Verstetigung von WiD durch nachhaltige und angemessene Förderung einigen. Es ist doch klar, dass das Wissenschaftssystem als Ganzes eine Einrichtung braucht, die für alle Mehrwert erzeugen kann. Von der Erprobung neuer Formate, Gewinnung neuer Partner, über Strategiebildung, bis zur Qualitätssicherung. Auch Angebote zur Vernetzung untereinander und international sind wichtig. Diese Aufgaben werden sich stets dynamisch und in den Organisationen durchaus auch verschieden profiliert weiterentwickeln. Aber im Kern braucht das Wissenschaftssystem auch ein gemeinsames Engagement für den Dialog.

Vielen Dank für das Gespräch.


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