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Empathie statt Lagerbildung: Wege zu einer verständigungsorientierten Wissenschaftskommunikation

30. November 2023

  • Erstellt von Alena Weil
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Ein Mann hält eine Rede. Im Hintergrund steht auf einer Folie "Rhetorik der Debatte" Array

In seiner Keynote beim Forum Wissenschaftskommunikation 2023 fordert Rhetorik-Professor Olaf Kramer eine Wissenschaftskommunikation, die auf Empathie und Perspektivwechsel setzt. Foto: David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

„Wir sollten uns klar machen, dass Konflikte zu Gesellschaften dazu gehören“, sagt Olaf Kramer, Rhetorik-Professor an der Universität Tübingen, zu Beginn seiner Keynote im Rahmen des Forum Wissenschaftskommunikation 2023. „Dass es gerade eine Leistung von Demokratien ist, dass sie es geschafft haben, Konflikte in Form von Debatten zu organisieren.“ Damit ist Kramer schon mitten im Thema des diesjährigen Forums – „Kontrovers, aber fair – Impulse für eine neue Debattenkultur“ – angekommen.

Debatten erfüllten verschiedene Funktionen in demokratischen Gesellschaften, so Kramer. Sie zielten darauf, einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Seiten herzustellen. Die Debatte sei damit auch so etwas wie ein Rationalitätstest: Jede Seite versuche ihren Standpunkt besonders deutlich herauszuarbeiten und die Öffentlichkeit entscheide, in welche Richtung sie tendiert. Damit trage die Debatte auch zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. 

Wenn die gemeinsame Verständigungsbasis verloren geht

Debatten sind also grundsätzlich erst einmal etwas Positives. Schwierig wird es, wenn es zu unüberwindbaren Spaltungen in der Gesellschaft kommt. Aber ist das bei uns überhaupt der Fall? „Die Diagnose, dass wir in einer zerrissenen Gesellschaft leben, hat große Konjunktur“, sagt Kramer. Sie sei jedoch für die deutsche Gesellschaft nicht zutreffend. Eine Lagerbildung wie etwa in den USA gebe es bei uns nicht. Das zeigt Kramer anhand verschiedener Zahlen und Umfragedaten. Allerdings: Auch in Deutschland gebe es zunehmend polarisierte Debatten, „Debatten, die laut und emotional geführt werden und eine Tendenz haben, die Gesellschaft auseinanderzutreiben.“ 

Ein Grund dafür sei der Medienwandel, so Kramer. Früher hätten Tageszeitungen eine gemeinsame Basis für Debatten geschaffen. Heute nutzen viele Menschen soziale Medien, um sich zu informieren. Social-Media-Plattformen seien jedoch geprägt durch eine starke Affektlogik und eine Individualisierung der Kommunikation. Hinzu komme die zunehmende Verbreitung Künstlicher Intelligenz, welche Kommunikation beschleunige und stärker an die jeweiligen Interessen der Rezipient*innen anpasse. Kramer betont: All diese Entwicklungen machten es schwer, eine gemeinsame Basis, ein sogenanntes „Grounding“, zu erzeugen. Eine solche gemeinsame Grundlage brauche es aber für gute Debatten. 

Fragen der Identität 

Ein Grounding werde zusätzlich durch die Lagerbildung, die für polarisierte Debatten charakteristisch sei, erschwert. Dabei stehen sich die eigene „In-group“ und die „Out-group“ gegenüber und versuchen, sich voneinander abzugrenzen, während der Zusammenhalt innerhalb der eigenen Gruppe gestärkt wird. Debatten würden damit zu Identitätsfragen, so Kramer. 

Identität spielt insbesondere angesichts der großen Transformationsprozesse, die unsere Gesellschaft durchlebt – von der Klimakrise über Migration bis zur Digitalisierung – eine Rolle. Menschen fühlten sich durch diese Prozesse in ihrer Lebensweise bedroht, sagt Kamer. Diese Angst leite Diskurse. Polarisierung könnte dabei von einzelnen Akteur*innen auch strategisch eingesetzt werden. Menschen werde also absichtsvoll das Gefühl vermittelt, ihre Identität sei bedroht. Prominentestes Beispiel: Donald Trump.  

Für die Wissenschaftskommunikation ergibt sich eine schwierige Ausgangslage. Um transformativen Prozessen wie der Klimakrise zu begegnen und Lösungen zu finden, benötige es eine gemeinsame Verständigungsbasis, sagt Kramer. Doch genau diese löse sich in polarisierten Debatten auf. 

Blick von oben auf ein voll besetztes Auditorium. Auf der Bühne hält ein Mann eine Rede. Auf der Präsentationsfolie steht u.a. "Polarisierung"
Im vollbesetzten Saal in der Stadthalle Bielefeld spricht Olaf Kramer am zweiten Tag des FWK 2023 über polarisierte Debatten und die Frage, was Wissenschaftskommunikation diesen entgegensetzen kann. Foto: David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Was also tun? Was setzen wir polarisierten Diskursen entgegen? Und wie genau soll sich dabei die Wissenschaftskommunikation verhalten? Darum geht es im zweiten Teil der Keynote. 

In der Wissenschaftskommunikation treffen zwei sehr unterschiedliche Logiken aufeinander. Die Logik des Wissenschaftssystems, das auf Erkenntnisgewinn und objektive Geltungsansprüche ziele. Und die Logik der politischen Debatte, in der es um subjektive Interessen und soziale Geltungsansprüche geht. Die Wissenschaftskommunikation könne dazu beitragen, dass wir informierte Debatten führen – also solche, die auf Grundlage wissenschaftlicher Fakten und Erkenntnisse stattfinden. 

Eine Einladung zum Verstehen

Nötig sei eine Rhetorik, die Brücken baut – auch zu Gruppen, die sich nicht für Wissenschaft interessieren oder nicht die eigene Meinung vertreten. Olaf Kramer plädiert dabei für eine „invitational rhetoric“ in der Wissenschaftskommunikation – „eine Rhetorik, die eher eine Einladung zum Verstehen ist.“ Dazu gehöre auch, den anderen nicht überzeugen zu wollen, sondern zunächst in einen echten Dialog zu treten.

Er betont dabei erneut, wie wichtig es ist, ein gutes Grounding zu schaffen und die Perspektive des Gegenübers zu reflektieren. Denn: Wissenschaftskommunikation transportiere wissenschaftliche Erkenntnisse in einen neuen Kontext, in dem andere Regeln gelten. Dabei könne fehlendes Vorwissen auf Seiten der Empfänger*innen genauso ein Problem sein wie etwa Emotionen. „Es reicht nicht, wenn ich als Wissenschaftskommunikator eine Botschaft absende, sondern ich muss sehr genau schauen: Wird die eigentlich so verstanden, wie ich sie intendiert habe?” Wir sollten uns also fragen: In welcher Situation befinden sich die Menschen, mit denen wir kommunizieren, so Kramer. 

Diese Empathie und dieser Perspektivwechsel seien notwendig, um Menschen außerhalb der üblichen Bubble zu erreichen, erklärt Kramer zum Abschluss seiner Rede. Empathie bedeute dabei: Die Perspektive des anderen ernst nehmen und sich hineinzudenken. „Wenn Wissenschaftskommunikation besser werden soll, muss ich mich sehr ernsthaft mit meinen Zielgruppen auseinandersetzen.“


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