Logo Wissenschaft im Dialog Wissenschaft im Dialog

Zurück zu „Blog“ Qrss

„Es darf nicht dazu kommen, dass Forscher*innen sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen“

27. Oktober 2023

  • Erstellt von Alena Weil
  • 0
  • A Wissenschaftskommunikation
Ein Mann Array

Matthias Fejes ist stellvertretender Pressesprecher der Uni Chemnitz und Vorstandsmitglied im Bundesverband Hochschulkommunikation. Foto: Lili Hofmann

Was tun gegen Anfeindungen in der Wissenschaft? Darum geht es in einer Session beim Forum Wissenschaftskommunikation 2023, die Matthias Fejes organisiert. Wir haben den stellvertretenden Pressesprecher der Uni Chemnitz und Vorstandsmitglied im Bundesverband Hochschulkommunikation gefragt, wie er das Problem in seinem Arbeitsalltag erlebt, welche Disziplinen besonders betroffen sind, und welche Gegenstrategien und Unterstützungsangebote es für Forschende gibt.

Für das Forum Wissenschaftskommunikation 2023 organisieren Sie die Session „Angriff statt Dialog“, in der es um Anfeindungen in der Wissenschaft gehen wird. Vor allem während der Coronapandemie wurde viel über Angriffe auf kommunizierende Forschende gesprochen. Wie groß ist das Problem derzeit? Gibt es zu dem Thema aktuelle Studien? 

Bei einer Umfrage der Fachzeitschrift Nature aus dem Jahr 2021 unter 321 überwiegend aus Großbritannien, Deutschland und den USA befragten Forschenden, die sich öffentlich zu Covid-19 geäußert hatten, gaben 15 Prozent an, Todesdrohungen erhalten zu haben; 22 Prozent berichteten von physischen oder sexuellen Bedrohungen. Darüber hinaus berichtete im August 2023 ebenfalls Nature über einen starken Rückzug von Forscher*innen aus dem sozialen Netzwerk X (ehemals Twitter, Anm. d. Red.). Demnach zogen sich die Forscher*innen aufgrund des zunehmenden toxischen Diskussionsklimas zurück. 

Abgesehen von den genannten Studien, woran machen Sie diese Zunahme und Verschärfung fest? Merken Sie – als stellvertretender Pressesprecher an der TU Chemnitz – das beispielsweise auch im Arbeitsalltag und im Kontakt mit Forschenden?  

Ja, auch ich selbst und wir bei uns haben bereits solche Situationen erlebt – auch wenn ich hier bei uns in Chemnitz glücklicherweise nicht von einer Zuspitzung sprechen würde. Spürbar zugenommen hat aber die Sensibilität bei den Forschenden, die proaktiv unseren Rat vor einer Kommunikation einholen.  

Wer ist besonders betroffen? 

Aus der Erfahrung der Kommunikationspraxis heraus sind vor allem Disziplinen betroffen, die einen hohen gesellschaftlichen Impact durch ihre Forschung haben – also zum Beispiel die Bereiche Genderforschung, Klimaforschung, Migrations- und Fluchtforschung oder die Protestforschung. Letztlich kann es aber in allen Disziplinen zu Angriffen und unsachlichen Konflikten kommen.

Woher kommt der Hass? 

Darauf gibt es sicher keine pauschale Antwort. Persönlich denke ich, dass man es als Folge einer längeren Entwicklung verstehen muss, bei der eine Kombination aus individuellen Faktoren und der sich beschleunigenden Abfolge multipler Krisen mit weltweiten bis hin zu ganz lokalen Konsequenzen eine Rolle spielt. Konstatieren muss man sicher auch, dass die sozialen Medien mit ihrer von Algorithmen getriebenen Aufmerksamkeitsökonomie – was emotionalisiert und polarisiert klickt gut – zu einer Verschärfung beitragen. 

Welche Konsequenzen hat das für Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation? 

Auf der Ebene der Forschungspraxis hoffentlich gar keine. Für die Wissenschaftskommunikation ergibt sich die Notwendigkeit, die beschriebenen Faktoren und Dynamiken vor einer Kommunikation zu antizipieren und ggf. so zu berücksichtigen, dass man sich auf mögliche Reaktionen vorbereitet. Auf keinen Fall sollte es aber dazu kommen, dass sich Forscher*innen aus dem öffentlichen Raum und Diskurs zurückziehen. Ein Beispiel aus der Protestforschung: Wenn Forscher*innen Ergebnisse aus einer Untersuchung veröffentlichen möchten, in der rechtspopulistische bzw. rechtsextreme Gruppierungen untersucht wurden, kann man davon ausgehen, dass entsprechende Gruppierungen und ihnen nahestehende Medien darauf reagieren werden. Hier sind professionelle Kommunikator*innen gefordert, die die Forschenden im Vorfeld beraten und im Falle von Anfeindungen unterstützen. Das geht bis hin zu juristischer Beratung durch sehr erfahrene und renommierte Medienanwält*innen und einer Begleitung auf dem Weg der Klage und des Prozesses sowie, bei Bedarf, einer psychologischen Unterstützung und Begleitung.

Eine gute Vorbereitung auf mögliche Reaktionen ist also wichtig. Aber was können Forschende tun, die von einem Shitstorm oder Bedrohungen überrascht werden? Wo finden Sie Hilfe? Welche Unterstützungsstrukturen gibt es? 

Einige, darunter auch der im Juli 2023 an den Start gegangene Scicomm-Support vom Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog. Der Scicomm-Support wird von Julia Wandt, die den Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie an der Universität Freiburg verantwortet, WiD-Projektleiterin Kristin Küter und mir koordiniert. Er bietet eine Beratung für Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen an, die aufgrund ihrer Wissenschaftskommunikation Hass und unsachlicher Kritik ausgesetzt sind. Unabhängig davon, ob das online oder offline geschieht. Partner des Projekts sind die Hochschulrektorenkonferenz und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. In den vergangenen Monaten sind zudem kontinuierlich weitere Unterstützer*innen hinzugekommen, wie HateAid, die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen, die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin oder die Initiative Toleranz im Netz des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Gefördert wird der Scicomm-Support von der Volkswagen-Stiftung. 

Auch die #FactoryWisskomm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung adressiert diese Entwicklungen, u. a. in der Arbeitsgruppe zum Themenfeld Anerkennung und Reputation. Hier wurde im Rahmen der Arbeit an den im Juni 2021 veröffentlichten Handlungsperspektiven für die Wissenschaftskommunikation unter maßgeblicher Mitwirkung von Julia Wandt auch der Grundstein für den Scicomm-Support gelegt.  Darüber hinaus gibt es in den Kommunikationsabteilungen an vielen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen inzwischen eine große Sensibilität für das Thema. Der Scicomm-Support ergänzt und erweitert die bereits in den Kommunikationsabteilungen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sehr fundiert stattfindende Beratung. 

Wen möchten Sie mit Ihrer Session auf dem Forum Wissenschaftskommunikation besonders erreichen? Und was erwartet die Teilnehmenden?

Wir möchten zum einen mit Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen zu diesem wichtigen Thema ins Gespräch kommen sowie über den Start und die ersten Erfahrungen mit dem Scicomm-Support berichten. Dabei wird es auch um Wünsche und Bedarfe an unsere Anlaufstelle gehen, die wir laufend anpassen und verbessern möchten. 


Forum Wissenschaftskommunikation, Donnerstag, 16. November, 15-16.15 Uhr
Session: Angriff statt Dialog: Was tun gegen Anfeindungen in der Wissenschaft?
Moderation: Korinna Hennig (NDR)
Referent*innen: Prof. Olivia Masseck (Universität Bremen), Prof. Dr. Frank Marcinkowski (Universität Düsseldorf), Julia Wandt (Universität Freiburg und Scicomm-Support)


0 Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben