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Feiner Strumpf und geballte Power: Ein Blick hinter die Kulissen von „Jona und die Tiefseemonster“

18. September 2017

  • Erstellt von Imke Gudenschwager
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Die Protagonistin des Stückes Jule Förster bereitet sich auf die Show vor. Sie wird während der Aufführung im Dunkeln tappen, weil sie nichts sieht. Foto: Imke Gudenschwager/WiD Array

Die Protagonistin des Stückes Jule Förster bereitet sich auf die Show vor. Sie wird während der Aufführung im Dunkeln tappen, weil sie nichts sieht. Foto: Imke Gudenschwager/WiD

Es ist der 11. September und Montagfrüh in Hildesheim: Das Video-Tanz-Theater „Jona und die Tiefseemonster“ ist zu Gast in der Kindertheater-Spielreihe schauSpielPlatz im Theaterhaus der Stadt. Hinter den Schaffenden liegt bereits ein erfolgreicher Tag mit einer gelungenen Aufführung und anschließendem Extra-Programm: Die Meeresbiologin Dr. Janina Seemann war gestern da, um den Kindern Rede und Antwort rundum ihre Forschung zu stehen.

Draußen die Ankündigung in meeresblauer Schrift: Das Video-Tanz-Theater „Jona und die Tiefseemonster“ ist am 10. und 11. September 2017 zu Gast im schauSpielPlatz im Theaterhaus Hildesheim. Foto: Imke Gudenschwager/WiD
Draußen die Ankündigung in meeresblauer Schrift: Das Video-Tanz-Theater „Jona und die Tiefseemonster“ ist am 10. und 11. September 2017 zu Gast im schauSpielPlatz im Theaterhaus Hildesheim. Foto: Imke Gudenschwager/WiD

Ich treffe auf Jule Förster, die Protagonistin des Stückes, Tänzerin und Akrobatin, ruhend in sich selbst, vielleicht ein wenig müde. Schlecht geschlafen habe sie in der letzten Nacht, so ihre Aussage. Bei den Vorstellungen werde ich davon nichts merken. Ich treffe auf Kay Kastner, der kreative Kopf des Stückes, ebenso ein entspannter Charakter mit lockigem Haar und Nasenring. Er ist verantwortlich für all die Zeichnungen und Animationen, die Musik und die Helm-Idee, aber dazu später mehr. Ich treffe auf meine Kollegin Laura Hörath, die Projektmanagerin des Stückes von WiD. Sie kennt sich aus am Haus in Hildesheim, hat sie doch fünf Jahre hier gelebt und studiert. Heimisches Agieren, vertrautes Arbeiten, das merke ich ihr an.  

Vor der ersten Vorstellung  beeindruckt mich Jule sofort mit ihrer Akrobatik. Wow, ich hatte ja keine Ahnung auf wen ich hier stoßen werde. Handstand, Radschlag, Dehnübungen…  Ihr Aufwärmprogramm lässt mich staunen. Kay hingegen nimmt das Warm-up deutlich entspannter. Die heiße Produktionsphase ist längst passé, die Technik funktioniert. Also, Durchatmen, es ist ja noch früher Morgen. 

Hinter den Kulissen steht unsere Tänzerin und Akrobatin Jule Förster Kopf. Es heißt: Warmmachen für’s Abtauchen in die Tiefsee. Videokünstler Kay Kastner nimmt‘s entspannter. Foto: Imke Gudenschwager/WiD
Hinter den Kulissen steht unsere Tänzerin und Akrobatin Jule Förster Kopf. Es heißt: Warmmachen für’s Abtauchen in die Tiefsee. Videokünstler Kay Kastner nimmt‘s entspannter. Foto: Imke Gudenschwager/WiD

Während allmählich die erste Grundschulklasse eintrudelt und sich im Foyer geräuschvoll breit macht, schreiten im Vorstellungsraum die Vorbereitungen fort. Eigentlich mit dem spannendsten Teil: Jule zieht sich einen weißen Strumpf über den Kopf und weckt für einen kurzen Moment die Assoziation zu einem Bankräuber. Ziemlich knautschig, ihr Gesicht dahinter, sicherlich kein wohliges Gefühl. „Man schwitzt sehr. Der Kopf kann nicht atmen, das macht alles anstrengender“, beschreibt sie den Zustand. 

Die Helm-Idee stammt von Kay Kastner und ist in dieser Form einzigartig. Sie verleiht dem gesamten Stück seinen bizarren Charakter zwischen klassischem Theater und moderner Pop-Art-Show. Foto: Imke Gudenschwager/WiD
Die Helm-Idee stammt von Kay Kastner und ist in dieser Form einzigartig. Sie verleiht dem gesamten Stück seinen bizarren Charakter zwischen klassischem Theater und moderner Pop-Art-Show. Foto: Imke Gudenschwager/WiD

Dann kommt der Helm und damit der Clou des Stückes. Er ist unter einer Perücke getarnt und besitzt eine etwa 30 Zentimeter lange Stahlkonstruktion, an dessen Ende ein kleiner, handlicher Beamer befestigt ist. Dieser verwandelt Jule in Gänze zur Protagonistin „Jona“, indem er deren Gesicht auf die weiße Strumpffläche projiziert. Jule wird dahinter blind agieren und tanzen – und das für die nächste dreiviertel Stunde.

„Man schwitzt sehr. Der Kopf kann nicht atmen, das macht alles anstrengender.“

Im Vorraum ist parallel Laura aktiv. Sie heißt die Klasse herzlich Willkommen, gibt eine Einführung in die Themenwelt der Meere und Ozeane, erläutert all die Tiefseemonster, von denen sich das JONA-Team hat inspirieren lassen, macht neugierig auf mehr.  „Ist es nicht erstaunlich, dass wir über die Rückseite des Mondes besser Bescheid wissen, als über die Tiefsee unseres heimischen Planeten?“, fragt sie die Kinder. Einvernehmliches Nicken im Saal. Laura möchte für die Wissenschaft und den fatalen Zustand unserer Meere sensibilisieren. Dann geht es los, die Show kann beginnen!

Was für ein Abenteuer: Jona und KISTE reiten auf dem Cuvier-Schnabelwal Georges, ihr Tiefseetaxi. Foto: Daniel Kunzfeld /WiD
Was für ein Abenteuer: Jona und KISTE reiten auf dem Cuvier-Schnabelwal Georges, ihr Tiefseetaxi. Foto: Daniel Kunzfeld /WiD

Schon beim Eintreten in den Vorstellungsraum packt mich der Sound. Sphärische Elektromusik, die an einen U-Boot-Tauchgang erinnern. Der Raum dazu ist dunkel, lediglich ein Beamer projiziert ein tiefes Blau und einige Luftblasen auf weiße Tücher. Das wird Jules Bühne sein. Es ist ein Leichtes, hier abzutauchen. Die Kinder sind sofort still. Gebanntes Schweigen macht sich breit. Ein gutes Zeichen.

Es folgt die Geschichte von Jona, die sich mit ihrem selbstgebauten Roboter KISTE, auf wagemutige Expedition in die Tiefsee begibt. Sie sind auf der Suche nach den geheimnisumwobenen Tränen der Meerjungfrauen. Sie begegnen tanzenden Anglerfischen und Ruderfußkrebsen, die mit blauen Blitzen schießen, Bergbaurobotern und einer Menge Plastikmüll. Die Story ist eine Mischung aus Fantasie und Wissenschaft mit Lektion. „Wir müssen sie erforschen, die Tiefsee, damit wir mehr verstehen und sie nicht kaputt machen. Erzählt von euren Erfahrungen!“, heißt es. All das ist gut geeignet für Kinder, aber auch für mich als Erwachsene – und zwar wegen der geballten, kombinierten Power aus Bild und Ton, der Musik, der Farben, der Lichtshow. 

Ich habe ja Vieles erwartet von einem Stück für Menschen ab sieben Jahren, nur nicht das. Nicht diesen postmodernen Sound, nicht solch ein Konzert. Das werde ich auch in den nächsten Tagen merken, wenn mich das Stück erneut in meinen Gedanken aufsucht und nachhallt. 

Im Anschluss stellten sich die Helden des Stückes den neugierigen Fragen des Publikums. Foto: Imke Gudenschwager /WiD
Im Anschluss stellten sich die Helden des Stückes den neugierigen Fragen des Publikums. Foto: Imke Gudenschwager /WiD

Auch die Kinder sind begeistert. Nach ihrem Auftauchen dürfen sie allerlei Fragen an Jule und Kay stellen. Die Stimmung ist gut, aber ich bin überrascht, wie oberflächlich das Publikum bleibt. „Warum war dein Gesicht so rosa? Wieso bist du so sportlich? Wie habt ihr das mit dem Gesicht und den Blubberblasen gemacht?“ Es wird viel erklärt, gelacht, man ist nah beieinander. Um die tiefere Botschaft des Stückes scheint es den Grundschüler in diesem Moment nicht zu gehen. Ist das die Kehrseite dieser musikalischen Lichtshow? Zuviel Ablenkung vom wesentlichen Inhalt? „Das war der geilste Film, den ich je gesehen habe“, beteuert ein Schüler. Vielleicht bleibt ja doch etwas hängen und hallt nach. So wie bei mir. 

Unsere Expedition in die Tiefsee ist zu Ende,  das Tohuwabohu verschwindet aus dem Vorstellungsraum. Danach kehrt wieder Stille ein, bis die nächste Reise beginnt… Foto: Imke Gudenschwager /WiD
Unsere Expedition in die Tiefsee ist zu Ende, das Tohuwabohu verschwindet aus dem Vorstellungsraum. Danach kehrt wieder Stille ein, bis die nächste Reise beginnt… Foto: Imke Gudenschwager /WiD

Das Video-Tanz-Theater schafft es, mich mit auf eine Reise in die Tiefsee zu nehmen. Die gesamte Inszenierung wirkt wie ein Sog. Ich bin abgetaucht, sobald ich den Vorstellungsraum betreten habe. Wer will, kann viel mitnehmen: Ich habe vieles über faszinierenden Tiefseetiere gelernt und darüber, dass um unserer Meere und Ozeane nicht gut aussieht. Und dass der Mensch handeln muss und jeder Einzelne die Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten trägt. Diese Message zusammen mit der beeindruckenden Akrobatik der Protagonistin und der skurrilen Helm-Idee – ein tolles Gesamtpaket. Das ist Wissenschaftskommunikation. Chapeau! 


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