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Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz

Wie man Flüchtlinge psychisch am besten unterstützen kann – ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Heinz. 

Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin. Darüber hinaus leitet er die Abteilung „Migration und Gesundheit“ an dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. 

9.8.2016

Wie ist der allgemeine psychische Gesundheitszustand der Flüchtlinge?

Es gibt keine systematischen Erhebungen zum psychischen Gesundheitszustand der Flüchtlinge. Es gab kleine Stichproben, die auch erstaunlich gut publiziert werden konnten – das zeigt, wie groß das Informationsbedürfnis ist. Natürlich sind psychische Erkrankungen eher häufig bei Geflüchteten, richtig verlässliche Zahlen gibt es aber nicht. Denn die Erhebungen sind immer nur stichprobenartig. Wir haben zum Beispiel eine Ansprechstelle für Flüchtlinge mit psychischen Problemen. Da kommen natürlich längst nicht alle Flüchtlinge hin, nicht mal alle, die psychische Probleme haben. Aber unter denjenigen die kommen, findet man schon eine hohe Traumatisierungsrate. 

Wie groß ist der tatsächliche Behandlungsbedarf? 

Natürlich ist es oft besonders dramatisch, wenn Angehörige verschollen sind oder sich noch ein Teil der Familie im Krisengebiet befindet, aber es sind oft auch ganz akute Alltagsdinge, die sich verbessern, wenn sich die Lage bessert. Wir müssen also aufpassen, dass wir jetzt nicht eine große Gruppe von Leuten pathologisieren und zu Hilfebedürftigen erklären, die eben auch Ressourcen haben. Entscheidend ist auch immer, wie sich der Einzelne selbst einschätzt und das alles ist natürlich auch eine Frage der Verarbeitung und der Resilienz. Man sollte die Leute auch nicht unterschätzen, sondern sie in ihrer Selbstwirksamkeit und ihren eigenen Fähigkeiten stärken. Wir haben eine Selbsthilfeaktivität gestartet, wo einfache Entspannungsübungen vermittelt werden. Es geht eben auch darum, dass die Leute das Gefühl bekommen, sie können selber etwas machen. 

Welche Situationen sind für die Flüchtlinge in Deutschland besonders schwer zu bewältigen?

Wenn jemand in Deutschland ankommt, der Gewalt gegen seine Person bereits erlebt hat und hier erneut ausgegrenzt oder sogar angegriffen wird, dann ist das natürlich etwas, was die Negativerfahrungen reaktiviert und irrationale Reaktionen hervorruft. Wir wissen auch, dass Menschen, die etwas hinter sich haben, vegetativ viel reizbarer sind – auch emotional. Sie schwitzen schneller, der Blutdruck geht schneller hoch. Gerade auf engsten Raum kann das dann auch zu explosiven Reaktionen führen

Welche konkreten Probleme gibt es momentan bei der Behandlung von Flüchtlingen?

Es gibt durchaus Flüchtlinge, die einen geschützten Raum brauchen, um darüber zu sprechen was ihnen widerfahren ist. Hier ist dann auch die Rolle der Dolmetscher wichtig. Da Dolmetscher im deutschen Krankenhaussystem nicht bezahlt werden, greift man oft auf nicht ausgebildete Personen zurück. Häufig sind das Familienangehörige, was problematisch sein kann, denn die Patienten können vor der Familie unter Umständen nicht alles erzählen, was ihnen tatsächlich widerfahren ist. Oft braucht man die Dolmetscher auch als Kulturvermittler. Also jemanden, der auch über seine Kultur reflektieren kann und das bei der Übersetzung mit einbringt, damit der behandelnde Therapeut die Reaktionen und Berichte besser einschätzen kann.

 

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