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Wieso haben Alzheimer-Patienten manchmal klare Momente?

14. März 2016

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
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Foto: stevepb/Picabay, CC0

Nach Angaben der Deutschen Alzheimergesellschaft sind etwa 1 Millionen Menschen von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Da infolge des demographischen Wandels die Lebenserwartung zunimmt und die Erkrankungszahlen mit dem Alter steigen, gibt es zur Zeit mehr Neuerkrankungen als Sterbefälle – jährlich kommen mehr als 300.000 Alzheimer-Patienten hinzu, Tendenz steigend. 

Zum Krankheitsbild gehören zunehmende Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, ein beeinträchtigtes Denk- und Urteilsvermögen, Sprachstörungen und Veränderungen der Persönlichkeit. Im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit sind die Betroffenen bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens auf Hilfe angewiesen und erkennen oftmals nahestehende Personen nicht wieder. Dennoch überraschen die Erkrankten ihr Umfeld immer wieder mit klaren Momenten, in denen sie leistungsfähiger wirken und sich an scheinbar längst Vergessenes wieder erinnern können. Wie kommt es zu einem derartigen Umschwung? 

Bei jedem Menschen unterliegen die kognitiven Fähigkeiten, also die Fähigkeiten Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, täglichen Schwankungen. Gründe dafür können zum Beispiel Schlafmangel, Schmerzen, situationsbezogener Stress, wie er in einer fremden Umgebung auftritt, oder auch depressive Verstimmungen sein.

Diese sogenannten Kontextfaktoren können aber auch helfen, eine bestimmte Erinnerung abzurufen. So ist zum Beispiel eine Erinnerung, die mit einem besonders positiven Gefühl assoziiert ist, bei Patienten mit einer Alzheimerdemenz etwas leichter abrufbar

Auch die Umgebung hat einen wichtigen Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit von Menschen mit Alzheimerdemenz. In einer vertrauten Umgebung kann es ihnen leichter fallen, bestimmte Gedächtnisinhalte abzurufen, da er dort weniger Stressreize erfährt. Es hängt also von vielen Faktoren auf der Verhaltens- und Erlebnisebene sowie der aktuellen Tagesverfassung ab, wie gut wir uns erinnern können. Gleiches trifft für Patienten mit einer Alzheimerdemenz zu, wobei diese besonders anfällig gegenüber Veränderungen in ihrer Umwelt sind.

Außerdem sind bei Patienten mit Alzheimerdemenz in früherem Krankheitsstadium bestimmte Gedächtnisleistungen schwerer betroffen als andere. Zum Beispiel kann sich ein Patient an vor vielen Jahren gelernte Inhalte oder erlebte Ereignisse besser erinnern, als an frisch gelernte Ereignisse. Insofern wirkt ein Alzheimerpatient beim Berichten über Ereignisse, die er vor 30 Jahren erlebt hat, kognitiv leistungsfähiger als beim Versuch sich daran zu erinnern, was er gestern gegessen hat oder wann er das letzte Mal den gerade zur Tür herein gekommenen Besuch gesehen hat. Auch fällt es ihm leichter, vertraute Personen im häuslichen Umfeld wiederzuerkennen, als eine Person zu identifizieren, die er erst vor kurzem in fremder Umgebung kennen gelernt hat.

Dass Erkrankte im fortgeschrittenen Stadium einer Alzheimerdemenz für ihr Umfeld also nicht mehr empfänglich sind, ist ein Trugschluss. Im Gegenteil: Die Betroffenen reagieren viel sensibler auf eine gewohnte und positive Umgebung und nehmen bis zuletzt die Art und Weise ihrer Versorgung wahr. 

Bei der Beantwortung der Frage hat uns Dr. Thomas Mell unterstützt. Er ist Oberarzt in der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin und leitet dort das Gerontopsychiatrische Zentrum (GPZ).

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