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Der Bürger und die Wissenschaft: Von der Information zur Mitwirkung

27. Oktober 2014

  • Erstellt von Markus Weißkopf
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  • z Meinungen

Über die Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation ist in diesem Sommer viel diskutiert worden, über Qualität, über das Verhältnis von Journalisten und Kommunikatoren und über den Einfluss der digitalen Medien. Wichtig ist aber auch ein anderer Punkt: Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft – und Wissenschaftskommunikatoren, die die passenden Prozesse und Formate dafür entwickeln.

Bürgerbeteiligung ist gesellschaftlich und politisch erwünscht. Das zeigt etwa das Wissenschaftsbarometer 2014. In dieser repräsentativen Meinungsumfrage haben die Bürgerinnen und Bürger großes Interesse an Forschung geäußert. 47 Prozent der Befragten gaben aber auch an, dass ihrer Meinung nach die Öffentlichkeit nicht genügend an Entscheidungen über Wissenschaft und Forschung beteiligt sei (bei 30 Prozent Unentschiedenen).

Die Bundesregierung hat in ihren geltenden Koalitionsvertrag das Ziel aufgenommen, „Bürgerinnen und Bürger und die Akteure der Zivilgesellschaft konsequent in die Diskussion um Zukunftsprojekte und die Ausgestaltung von Forschungsagenden ein[zu]binden [und] neue Formen der Bürgerbeteiligung und der Wissenschaftskommunikation [zu] entwickeln und in einem Gesamtkonzept zusammen[zu]führen“. Ähnlich äußert sie sich zu diesem Thema in der kürzlich veröffentlichten Hightech-Strategie. Wir sind nun gefordert, die Politik beim Wort zu nehmen und den Prozess in unserem Sinne voranzubringen.

Die Wissenschaft selbst kann von der Bürgerbeteiligung profitieren, sei es bei der Planung und Durchführung regionaler Projekte, der Erschließung neuer Forschungsfragen oder der Politikberatung. Grundsätzlich sehe ich vier Bereiche, in denen Bürgerbeteiligungsprozesse in der Wissenschaft denkbar sind:

Bürgerbeteiligung ist jedoch nicht bloß erwünscht und von Gnaden der Politik oder Wissenschaftsorganisationen, sondern schlicht notwendig. Man denke an die Realisierung regionaler und lokaler Projekte: Ob ein Hochsicherheitslabor gebaut oder ein Geothermieprojekt umgesetzt werden soll – ein professionell organisierter Beteiligungsprozess nimmt Vorbehalte frühzeitig auf, kann sie entschärfen, Verbesserungsvorschläge aufgreifen und unter Umständen jahrelange Widerstände verhindern.

Begleitung neuer Technologien: Generell kann die Einführung neuer Technologien durch Bürgerbeteiligungsprozesse kritisch-konstruktiv begleitet werden. Risiken und Vorbehalte lassen sich frühzeitig erkennen, das neu entstandene (Bürger-)Wissen darüber bei der Technologieumsetzung berücksichtigen und so die Akzeptanz der Technologie verbessern.

Entwicklung von Zukunftsthemen: Bürgerbeteiligung zu Hightech-Forschungsthemen kann dazu dienen, einen Dialog zu führen, neue Themenfelder und Forschungsfragen jenseits des etablierten Wissenschaftsbetriebs zu entdecken, Perspektiven aufzuzeigen und so gemeinsam eine von allen akzeptierte Forschungsstrategie zu entwickeln. 

Einfluss auf die Politikberatung: Die Positionen der Wissenschaft können durch Bürgermeinungen ergänzt, vertieft und geerdet werden. Ihre demokratische Legitimität steigt durch ein Qualitätssiegel „Society Inside“.

Erfolgreich kann Bürgerbeteiligung aber nur sein, wenn die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden und geeignete Formate zur Verfügung stehen. Man wird Bürgerinnen und Bürger nur schwer für eine sechstägige Konsensuskonferenz oder auch nur für eine zweitägige Bürgerkonferenz gewinnen können, wenn weder ein Thema mit direktem Alltagsbezug diskutiert wird, noch die erarbeiteten Ergebnisse die Entscheidung wesentlich beeinflussen. 

Grundvoraussetzung für den Erfolg von Partizipationsprozessen ist, dass der Initiator überhaupt autorisiert ist, die Bürgermeinungen in einem weiteren, an die Bürgerbeteiligung anschließenden Prozess tatsächlich einzubringen. Informationen über das Mandat müssen den im Beteiligungsprozess Aktiven gleich zu Beginn des Prozesses mitgeteilt werden.

Auf kommunaler Ebene ist dies meist möglich: Der Initiator ist in der Regel die Exekutive, die gemeinsam mit dem Stadt- oder Gemeinderat den Beteiligungsprozess in Gang setzt bzw. damit auf Initiativen der Bürgerinnen und Bürger reagiert. In der Wissenschaft kann das Mandat beispielsweise bei einer Wissenschaftsakademie liegen, die Positionspapiere im Rahmen der Politikberatung erstellt. 

Seitens der Bürger erfordert Bürgerbeteiligung freiwilliges, ehrenamtliches Engagement. Dieses lässt sich nur aktivieren, wenn die Themen nah am Bürger „dran“ sind. Bei kommunalen Gestaltungsprozessen ist das am ehesten der Fall. Bezogen auf wissenschaftsnahe Themen lassen sich Menschen dann gut zur Teilnahme an Beteiligungsprozessen motivieren, wenn sie räumlich betroffen sind (Realisierung regionaler und lokaler Projekte) oder wenn die Themen (scheinbar oder tatsächlich) mit Risiken behaftet sind. Die Bearbeitung von Zukunftsthemen oder von Themen mit Relevanz für die Politikberatung ist jedoch eher abstrakt; die Aktivierung gelingt in der Regel nur bei sehr Interessierten. 

Dass Bürgerbeteiligungsprozesse funktionieren können, zeigt der Blick in Kommunen und Unternehmen: Dort existieren gut erprobte und professionelle Verfahren für eine erfolgreiche Bürger- oder Mitarbeiterbeteiligung. Die Stadt Ludwigsburg beispielsweise führt alle drei Jahre eine Zukunftskonferenz durch, in der Engagierte Beiträge zum Stadtentwicklungskonzept leisten können. Erste Ansätze für eine systematische Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft sind in jüngster Zeit aus Initiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entstanden – etwa die ZukunftsWerkStadt, in der Wissenschaft in kommunale Bürgerbeteiligungsprozesse einbezogen worden ist.

Hier wurden wichtige Erkenntnisse gesammelt, wie Bürgerinnen und Bürger für Themen aus der Wissenschaft aktiviert oder ihre Beiträge für den weiteren Prozess nutzbar gemacht werden können. Auch im Bürgerdialog hat das BMBF Formate entwickelt, in denen Fragen zu Zukunftstechnologien – etwa Hightech-Medizin oder Energietechnologien – mit den Menschen diskutiert werden können. Ein Beispiel für die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürger bei kontrovers diskutierten Technologieprojekten ist der Bürgerdialog DialoGGeo, der im Auftrag der Überlandwerk Groß-Gerau GmbH von der Stiftung Risiko-Dialog umgesetzt wurde. 

Aus den Erfahrungen und Beispielen anderer Beteiligungsprozesse zu lernen, ist ein erster Schritt, eine einheitliche Meinung über den Umgang mit Bürgerbeteiligung innerhalb der Wissenschaft zu formen, ein weiter Weg. Dazu gehört zunächst,

  • eine Diskussion über die Ziele der Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft zu initiieren,
  • Kriterien zu entwickeln, anhand derer für Bürgerbeteiligung geeignete Themen der Wissenschaft ausgewählt werden können,
  • klar zu machen, wie Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft wirksam werden kann (und nicht in Frustration endet) und
  • den Nutzen für alle Beteiligten herauszuarbeiten.

Als Experimentallabor für die Wissenschaftskommunikation wollen wir vorhandene Ansätze der Bürgerbeteiligung aufgreifen und modifizieren. Aber wir wollen auch ganz neue Formate konzipieren und mit ihnen modellhaft Bürgerbeteiligungen in der Wissenschaft durchführen, um Verfahren zu testen und weiterzuentwickeln.

Dabei gilt es insbesondere, die investierte Zeit zu reduzieren, die die engagierten Bürgerinnen und Bürger aufbringen müssen. Wir brauchen kleine, flexible und kostengünstige Formate. Sie müssen es erlauben, Einschätzungen der Bürger zu gewinnen, die reflektierter sind, als die in einer Meinungsumfrage gewonnenen. Wir brauchen Absender – Initiatoren von Bürgerbeteiligungsprozessen in der Wissenschaft – die bereit sind, ihre Themen zur Diskussion zu stellen und dabei neue Formate zu erproben. Und wir brauchen die Möglichkeit, das Mandat, die Ergebnisse aus professionell durchgeführten Partizipationsprozessen als beratendes Element in die Meinungs- und Willensbildungsprozesse der Wissenschaft sowie in die wissenschaftliche Politikberatung einfließen zu lassen.

Bis Wissenschaft systematisch Bürgermeinungen einholt und diese in ihre Prozesse einfließen lässt, ist es ein weiter Weg. Aber wir sollten ihn beschreiten. Und Wissenschaft im Dialog kann und will diesen Prozess professionell begleiten und mitgestalten.


1 Kommentare

  1. Lars Fischer am 10.11.2014

    Das klingt alles schon ganz gut, allerdings finde ich das allein ein bisschen sehr utilitaristisch gedacht. Mir wäre wichtig, das "Society inside" auch direkter und informell zu realisieren, in dem Sinne, dass Wissenschaft auch als Kulturgut verstanden wird und nicht nur aus einer anderen Sphäre zur Begutachtung herangereicht wird.

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