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Es ist Zeit – Teil 2: Neulich, als ich eine gefühlte Ewigkeit auf dem 10-Meter-Turm stand

13. August 2018

  • Erstellt von Nadine Schlichting
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Was geht in uns vor, wenn wir auf dem 10-Meter-Turm stehen und wie wirkt sich dies auf unsere Zeitwahrnehmung aus? Foto: Pexels/pixabay Array

Was geht in uns vor, wenn wir auf dem 10-Meter-Turm stehen und wie wirkt sich dies auf unsere Zeitwahrnehmung aus? Foto: Pexels/pixabay

Warum erscheinen uns manche Momente wie eine Ewigkeit, andere wiederum vergehen wie im Flug? Was beeinflusst unser Zeitempfinden? Diese Fragen beschäftigen auch Nadine Schlichting: Sie ist Hospitantin bei WiD und promoviert in Experimenteller Psychologie an der Universität Groningen zum Thema Zeitwahrnehmung.

In unserer neuen dreiteiligen Blogreihe „Es ist Zeit“ erklärt Nadine das Phänomen der subjektiven Zeitwahrnehmung. Dabei holt sie Anregungen aus dem Alltag, verknüpft ihre Beobachtungen mit Experimenten und Erkenntnissen aus der Forschung – und entwirft mitunter eigene Theorien. Im zweiten Beitrag erklärt sie, wie Emotionen unser Zeitempfinden beeinflussen. 

Es ist Zeit – Teil 2: Neulich, als ich eine gefühlte Ewigkeit auf dem 10-Meter-Turm stand

Ein Gedankenexperiment: Freibad, Mittagssonne, du stehst zum ersten Mal auf dem 10-Meter-Turm. Gleich springst du, du atmest ein, du atmest aus, ein Gemisch aus Sonnencreme- und Pommes-Duft liegt in der Luft. Du nimmst das Getöse und Jubeln von deinen Freunden wahr, aber es stört dich nicht. Gleich springst du, und doch scheint es, als ob die Zeit still steht. Wie kann es sein, dass Zeit manchmal wie in Zeitlupe zu kriechen scheint? Und was hat unser mentaler Zustand, was haben unsere Emotionen damit zu tun?

Sylvie Droit-Volet ist Professorin für Psychologie an der Universität Clermont Auvergne in Frankreich. In ihrer Forschung beschäftigen sich Droit-Volet und ihr Team mit dem Effekt von Emotionen auf die Wahrnehmung von Zeit. Menschen sind sehr gut darin, Emotionen von anderen anhand von Gesichtsausdrücken unseres Gegenübers zu erkennen und nachzuempfinden. Daher benutzt das Forscherteam ausdrucksstarke Porträts von Schauspielern um emotionale Reaktionen in den Versuchspersonen auszulösen. Sie sehen zum Beispiel ein Foto einer sehr verärgerten Person für eine bestimmte Dauer und sollen anschließend diese Dauer reproduzieren. Im nächsten Durchgang sehen Versuchspersonen ein Foto derselben Person, allerdings mit einem neutralen Gesichtsausdruck. Das Ergebnis: Die Versuchspersonen überschätzen die Dauer bei dem Foto mit dem verärgerten Ausdruck. Den gleichen Effekt findet das Forscherteam übrigens auch, wenn Ärger durch andere Emotionen wie Freude oder Trauer ersetzt wird. Im Vergleich zu neutralen Fotos erscheinen uns also emotional aufgeladene Fotos als länger dauernd. Droit-Volet erklärt dieses Phänomen so: Ist ein Ereignis emotional geladen, schenken wir dem mehr Aufmerksamkeit. Je aufmerksamer wir sind, desto bewusster – und daher langsamer – nehmen wir die Zeit wahr.

Die wohl extremsten Zeitlupen-Effekte treten in bedrohlichen Situationen auf. Diese sind sehr schwierig zu testen, denn Forscher wollen und dürfen Versuchspersonen nicht in bedrohliche Situationen versetzen. Einige Studien in diese Richtung gibt es dennoch: Zum Beispiel fanden Forscher der Universität Cambridge schon 1984 heraus, dass Personen mit großer Angst vor Spinnen die Dauer überschätzen, die sie mit einem lebendigen Exemplar in einem Raum verbringen. In einer anderen Studie stellten die Wissenschaftler Stephen Thayer und William Schiff fest, dass die Dauer beim direkten Augenkontakt mit einem wütendem Gegenüber länger empfunden wird als mit einem fröhlichem Gegenüber. Dem Sprungturm-Gedankenexperiment ähnlich ist eine für mich sehr beeindruckende Studie aus dem Jahr 2007: In einem Freizeitpark sprangen Versuchspersonen von einem Turm und wurden 31 Meter im freien Fall später von einem Sicherheitsnetz aufgefangen. Ihren eigenen Sprung schätzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als durchschnittlich 36 Prozent länger dauernd ein als die Dauer eines Sprunges, den sie lediglich beobachteten. Die Forscherinnen und Forscher um David M. Eagleman schließen daraus, dass wir durch erhöhte Aufmerksamkeit in solchen riskanten Momenten mehr und detailliertere Erinnerungen abspeichern. Wenn wir uns dann an dieses Ereignis zurückerinnern, ist in dieser kurzen Zeit so viel passiert, dass es uns als viel länger vorkommt, als es tatsächlich war. 

Kommen wir nochmal zurück zum Gedankenexperiment: Was geht in uns vor, wenn wir auf dem 10-Meter-Turm stehen und wie wirkt sich dies auf unsere Zeitwahrnehmung aus? Ob ängstlich, angespannt, voller Vorfreude oder alles zusammen: Wir sind emotional hoch aufgeladen. Wir nehmen die Gerüche und Geräusche viel bewusster wahr, wir sind auf den Moment fokussiert. Wie von David M. Eagleman beschrieben, dehnt sich deshalb die Zeit aus und kommt uns länger vor.

Im nächsten Beitrag werde ich die Themen aus dem ersten und dem zweiten Teil verbinden und der Frage nachgehen, wie Räume durch ihr physikalisches Erscheinungsbild und durch ihren Einfluss auf unser emotionales Innenleben unsere Wahrnehmung von Zeit beeinflussen.


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