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Warum brauchen Neugeborene so viel Schlaf?

16. Juni 2021

  • D Naturwissenschaften und Mathematik
Schlafendes Baby Array

Foto: Tim Bish/Unsplash

Von wem hat das Baby wohl die Augenfarbe geerbt? Bleiben sie blau – diese Augenfarbe haben die meisten Säuglinge in Mitteleuropa nach der Geburt – oder verändert sie sich noch? Gerne spekuliert man bei Neugeborenen, welchem Elternteil sie ähnlicher sehen. Die Frage nach der Farbe der Augen lässt sich allerdings meist schwer beantworten. Denn das Baby verbringt einen großen Teil seiner ersten Lebenswochen mit Schlafen. Warum brauchen Neugeborene eigentlich so viel Schlaf?

Die schnelle Antwort lautet: Neugeborene müssen sehr viel lernen – und das tun sie im Schlaf. In seinen ersten sechs Lebensmonaten schläft ein Neugeborenes insgesamt 16 bis 18 Stunden am Tag. Man unterscheidet zwischen zwei Phasen, dem aktiven Schlaf und dem ruhigen Schlaf. Hinzu kommen Phasen des indeterminierten Schlafs, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. Der aktive Schlaf ist vergleichbar mit der Traum-Schlafphase von älteren Kindern und Erwachsenen. In dieser Phase bewegen die Säuglinge ihre Augen unter den geschlossenen Lidern, strecken ihre Arme und Beine und atmen hektisch. Im Tiefschlaf, der ruhigen Schlafphase, liegen sie hingegen vollkommen entspannt da und atmen gleichmäßig. In den ersten sechs Monaten macht der aktive Schlaf rund 60 Prozent der Schlafzeit aus. Bei sechs Monate alten Babys sind es nur noch 25 Prozent. 

Auskunft darüber, was während der Schlafphasen im Gehirn eines Neugeborenen geschieht, liefern sogenannte Elektroenzephalogramme (EEGs). Dabei messen am Kopf befestigte Sensoren die Gehirnströme des schlafenden Kindes. Anhand der Veränderungen der Wellen eines EEGs mit zunehmendem Alter des Babys lassen sich Rückschlüsse auf die Gehirnentwicklung während des Schlafens ziehen.

In dieser Zeit verarbeitet das Neugeborene die vielen neuen Erfahrungen, die es außerhalb des Mutterleibes macht. Es muss lernen, auf seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen und diese zu befriedigen. Dazu zählen etwa das Trinken an der Brust der Mutter und das Entdecken und Bewegen der eigenen Hände. 

Während der aktiven Schlafphasen werden die zugehörigen Strukturen im Gehirn maßgeblich ausgebildet. Das Gehirn ist nach der Geburt noch nicht fertig entwickelt, die neuronalen Verbindungen müssen noch reifen, und das Gehirn weist eine hohe Plastizität auf. Das macht es besonders aufnahme- und lernfähig. 

Während der aktiven Schlafphase wachsen die neuronalen Bahnen zwischen den Gehirnarealen Thalamus und Cortex. Im Gehirn wird so sortiert, was wichtig und was unwichtig ist: Während sich die nervlichen Strukturen im Gehirn ausbilden, wird das Erlernte als strukturelles Wissen verankert. Je mehr die neuronalen Bahnen ausgeprägt sind, desto weniger aktiven und desto mehr ruhigen Schlaf haben Säuglinge mit zunehmendem Alter.

Die einzelnen Schlafperioden sind während der ersten Lebensmonate mit zwei bis vier Stunden sehr kurz. Das liegt daran, dass die Neugeborenen schnell wieder Hunger bekommen: Da sie in dieser Zeit viel wachsen, aber einen kleinen Magen haben, brauchen sie häufig einen Nachschub an Energie. Die Schlafperioden werden mit wachsendem Magen länger. Ab einem Alter von sechs Monaten verlagert sich der Schlaf außerdem mehr und mehr in die Nacht. In dieser Zeit lernen die Neugeborenen nicht nur, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden, sondern auch, sich selbst zu regulieren. Das heißt, dass sie weniger Unterstützung von außen brauchen. Sie können sich selbst besser beruhigen und reagieren durch das Erlernte sensibler auf ihre Umwelt. Neben dem Energiebedarf bestimmen nun Dunkelheit und Ruhe den Schlafrhythmus. Am Ende des ersten Lebensjahres sinkt die Schlafzeit insgesamt in der Regel auf 14 bis 15 Stunden.

Der Schlaf von Neugeborenen ist noch nicht vollständig erforscht. Fest steht, dass Schlaf – übrigens auch bei Erwachsenen – ein wichtiger Faktor bei Lernvorgängen ist. Der Stellenwert von Schlaf wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass während der vielen Stunden, die ein Neugeborenes schläft, in seinem Gehirn wichtige Grundsteine gelegt werden – und es somit zwar schläft, aber diese Zeit gut nutzt.

Bei der Beantwortung dieser Frage hat uns die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Schlafmedizinerin Barbara Schneider unterstützt. Sie leitet das Zentrum für Neuropädiatrie und Schlafmedizin (ZNS) im Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut.

Redaktion: Lara Schultz

 

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